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Gewalt an Kindern erkennen

(Aus: BMWFJ (Hg.): "Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Gesundheitsberufen" Wien, 2010)


Ärztinnen und Ärzte werden in ihrer Praxis mit den Folgen von körperlicher Misshandlung, Vernachlässigung oder sexueller Gewalt mitunter als erste konfrontiert.

Weil die Betroffenen selbst und auch die Angehörigen meist versuchen, die Ursachen für die körperlichen oder seelischen Verletzungen zu verbergen, ist es wichtig, dass alle in Gesundheitsberufen Tätigen auf die Symptome hellhörig sind und Strategien kennen, damit richtig umzugehen.

Viele niedergelassene Ärzt/innen haben mit Opfern von häuslicher Gewalt zu tun, zu selten jedoch, um Erfahrung für ein geeignetes Fallmanagement zu sammeln (70% der im Rahmen einer Studie befragten Ärzt/innen gaben an, einmal pro Jahr einen Fall zu beobachten; Kopecky-Wenzel, 2000).

Der Leitfaden soll Ihnen eine Handlungsanleitung geben, um in der alltäglichen, stressigen Situation in der Praxis adäquat reagieren zu können.
Eine Grundvoraussetzung für ein gutes Management von Fällen mit Gewalt am Kind ist also zunächst die Fähigkeit, die Symptome und Signale zu erkennen und sie richtig zuzuordnen sowie über eine vorbereitete Strategie für den Umgang mit solchen Situationen zu verfügen.

Die in diesem Leitfaden angeführten medizinisch-diagnostischen Vorgehensweisen sowie die Prinzipien der Kinderschutzgruppenarbeit in Spitälern gelten im Wesentlichen auch für die Arztpraxen.

Empfehlungen

Die folgenden Empfehlungen für den Umgang mit Gewalt am Kind beruhen auf dem Hamburger Leitfaden für Arztpraxen (2006)

  1. Das Wohl des Kindes in den Vordergrund stellen: In der ärztlichen Versorgung steht das betroffene Kind im Vordergrund, nicht das Gewaltproblem. Erst nach der medizinischen Hilfe geht es um die Aufdeckung der Gewalt.
  2. Nicht in Aktionismus verfallen: Weil das Wohl des Kindes im Mittelpunkt steht, für das Sie parteilich eingreifen, ist ein besonnenes Vorgehen wichtig.
  3. Eigene Bewertung und Einstellung klären: Bleiben Sie dem Kind gegenüber auch bei Misshandlung oder Missbrauch unbefangen. Entsetzte und empörte Äußerungen wie „Das ist ja schrecklich, was dir angetan wurde!“ helfen nicht weiter. Wichtig ist, dem Kind ein Gefühl der Sicherheit zu geben. Auch das Verhalten gegenüber den Begleitpersonen sollte freundlich sein, Vorwürfe oder Vorurteile helfen nicht weiter.
  4. Eigene Möglichkeiten und Grenzen kennen: Opfer von Gewalt, oder auch die ganze Familie können hohe Erwartungen an die Ärztin / den Arzt haben. Hier müssen rechtzeitig die eigenen Möglichkeiten und Grenzen deutlich gemacht werden, um nicht Versprechen zurücknehmen zu müssen und Vertrauen zu zerstören.
  5. Mit anderen Hilfseinrichtungen zusammen arbeiten: Es ist in der Regel nicht möglich, einen Fall von familiärer Gewalt allein zu behandeln und das Problemdes Kindes zu lösen. Den Ärzt/innen kommt hier in erster Linie die Rolle von Initiatoren und des ärztlichen Begleiters für das Kind und die Familie zu. Gute Netzwerke vor Ort sind daher für jede Ärztin / jeden Arzt unerlässlich.  

Hier finden Sie neben der zuständigen Kinder- und Jugendhilfebehörde anerkannte Einrichtungen, die abgestimmte Hilfen für das Kind und die Familie entwickeln können.

Was ist zu tun?

Bei der Erstuntersuchung in der ärztlichen Praxis ist zuerst der Befund zu erheben, wofür das Formular „Zuweisung an die Kinderschutzgruppe“ die wichtigsten Informationen enthält. Zusätzlich ist es wichtig, ein Bild über die familiäre Situation zu gewinnen.

Wenn die Befragung der Eltern nicht ausreichend Aufschluss gibt, kann nach der Erhebung und Sicherung des Erstbefundes ein Hausbesuch notwendig sein. Diesen kann entweder die Ärztin / der Arzt persönlich absolvieren oder an die Kinder- und Jugendhilfe delegieren.

Auf jeden Fall muss die Ärztin / der Arzt nach der Erstuntersuchung entscheiden, ob die Situation des Kindes für eine ambulante Betreuung in der Praxis ausreichend sicher ist.

Sollte diese nicht ausreichend sein, ist eine Einweisung an ein Kinderkrankenhaus mit Kinderschutzgruppe nötig; diese muss mit einer medizinischen Diagnose und der ausgedrückten Sorge der/des betreuenden Ärztin/Arztes betreffend des medizinischen Wohlergehens des Kindes begründet sein.

Wenn eine ambulante Betreuung möglich ist, so soll mit den sozialen Diensten (Kinder- und Jugendhilfe) und/oder (so vorhanden) kinder- und jugendpsychiatrischen Diensten Kontakt aufgenommen und das weitere Vorgehen gemeinsam geplant werden. Jedes Kind mit einer Diagnose „Verdacht auf Misshandlung oder Missbrauch“ sollte jedenfalls in kurzen Abständen wieder bestellt werden.

Bei schwerwiegenden Vorfällen sind Ärzt/innen zur Anzeige verpflichtet. Wichtig ist aber zu wissen, dass eine Strafanzeige dann ausbleiben kann, wenn das Kindeswohl besser auf anderen Wegen in Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendhilfe gesichert werden kann.

Literatur

  • [1] BMWFJ (Hg.): Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in Gesundheitsberufen Wien, 2011

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