THEMA: Die Rolle der Mütter bei sexueller Gewalt an Kindern
Mütter haben keine Ahnung - oder doch?
Die eigene Betroffenheit und der Umgang damit
Sexuelle Gewalt an Kindern ist eine Ungeheuerlichkeit. Alle, die von sexueller Gewalt an Kindern erfahren, die sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen vermuten, die von sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen wissen, ja selbst Kinder und Jugendliche, denen sexuelle Gewalt angetan wurde, erleben dies als etwas Unglaubliches.
„Das ist nicht wahr, das kann nicht sein, ich kann das nicht glauben.“
Kinder versuchen, das, was mit ihnen gemacht wurde, wozu sie gezwungen oder veranlasst wurden, nicht als Realität wahrzunehmen. Sie können es nicht fassen, dass jemand, der ihnen zumeist sehr vertraut ist, „das“ mit ihnen getan hat. Sie bezweifeln, dass ihnen geglaubt wird.
Nicht missbrauchende Elternteile können sich nicht vorstellen, dass ihr Partner „das“ mit dem eigenen Kind getan hat. Können nicht glauben, dass ihr Vertrauen in den Partner oder in ihre Partnerin so missbraucht worden ist. Wir alle tun uns schwer zu glauben, dass Kinder – sogar Säuglinge – sexueller Gewalt in der Familie ausgesetzt sind; dass so viele Mädchen und Buben davon betroffen sind und dass Täter als ganz normale, unauffällige Menschen erscheinen.
Mütter haben keine Ahnung – oder doch?
Mütter sind meist die ersten und wichtigsten Bezugspersonen ihrer Kinder. Wird ein sexueller Missbrauch an Kindern bekannt, wird den Müttern meist Mitschuld an den Übergriffen gegeben. Oft manifestiert sich diese Mitschuld in Begründungen, sie wäre krank oder aus anderen Gründen nicht verfügbar gewesen, wäre Tätigkeiten außer Haus nachgegangen oder hätte sich mit Freunden getroffen und hätte so das Kind mit dem Partner allein gelassen ...
So wird die Mutter oft zur eigentlich Verantwortlichen für Missbrauch und Inzest gemacht. Die Verantwortung für den sexuellen Missbrauch trägt immer der Täter, nicht die Mutter.
Ausnahmen bilden die Fälle, bei denen Mütter am Missbrauch ihrer Kinder mitbeteiligt sind, oder Fälle, in denen Frauen oder Mütter selbst zu Täterinnen werden (ca. 5–10% der sexuellen Übergriffe an Kindern werden von Frauen begangen, wobei hier von einer noch größeren Tabuisierung ausgegangen werden muss).
Wenn aber Mütter – oder andere erwachsene Bezugspersonen – sexuellen Missbrauch an Kindern bemerken, liegt es in ihrer Verantwortung, das Kind vor weiteren Übergriffen zu schützen. Hilfe, Beratung und Unterstützung dabei werden österreichweit von Fachstellen angeboten.
Nicht nur die Gesellschaft stellt sehr hohe Ansprüche an Mütter, sondern auch von ihren Kindern wird die Mutter als allwissender, allmächtiger und sie unter allen Umständen beschützender Mensch gesehen.
Sexueller Missbrauch innerhalb der Familie stellt jedoch immer eine existentielle Bedrohung dar, nicht nur für das betroffene Kind, sondern auch für die Mutter und die Geschwister. Es gibt viele Gründe, warum Mütter Hinweise auf sexuellen Missbrauch ihrer Kinder nicht wahrnehmen oder nicht wahrnehmen können, wie etwa
- geringe Aussicht auf Hilfe von außen,
- Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird,
- gravierende Zukunftsängste,
- die (meist begründete) Angst vor negativen Reaktionen im Verwandten und Bekanntenkreis,
- Gefühle der Macht- und Hilflosigkeit,
- finanzielle bzw. emotionale Abhängigkeit vom Partner,
- eigene nicht verarbeitete traumatische Erlebnisse wie z. B. sexueller Missbrauch
- eigene Krankheit, Medikamentenabhängigkeit, Sucht usw.
Im Falle des innerfamiliären Missbrauchs steckt die Mutter immer in einem Dilemma: Einerseits soll sie ihre Kinder schützen und andererseits ihrem Ehemann oder Partner zur Seite stehen. Spricht sie über den Missbrauch, wird sie zur Verräterin am Partner.
Die Unterstellung niedriger Absichten – sie will bloß einen Scheidungsgrund, ihren Mann loswerden, sich am Ex-Partner rächen –, wenn eine Mutter den Verdacht auf sexuellen Missbrauch äußerst, muss sehr genau geprüft werden, um die Belastungen für das Kind in einer ohnehin belastenden Situation nicht noch zu verstärken.
Väter von betroffenen Kindern
Noch immer akzeptiert die Gesellschaft die Randposition des Vaters in der Familie.
Beim außerfamiliären Missbrauch seines Kindes wird er kaum in die Planung weiterer Schritte mit einbezogen und wird aber auch kaum für zu geringen Schutz verantwortlich gemacht.
Aus den wenigen Berichten von Vätern, die sich nach Bekanntwerden der Tat äußerten, wird ersichtlich, wie schwer es auch ihnen fällt, angemessen mit der Situation umzugehen. Sehr häufig reagieren sie aggressiv, fühlen sich hilflos und nicht zuständig. Sie können sich nur schlecht in das Kind einfühlen. Meist sind es dann wieder die Mütter, die sich nicht nur um das Kind kümmern, sondern auch den Partner von unkontrollierten Handlungen abhalten.
Wenn Väter mehr Engagement in der Erziehungsarbeit aufbringen, kommt auch ihnen ein wichtiger Teil der Schutzfunktion zu. Familienpolitische Anreize wie Karenzregelungen oder Elternbildungsprogramme versuchen Väter in diese Richtung zu aktivieren.
Literatur
-
[1] BMWFJ (Hg.): (K)ein sicherer Ort. Sexuelle Gewalt an Kindern Wien, 2016PDF, 839 kB
Die in der 7. aktualisierten Auflage erschienene Broschüre soll Betroffene ermutigen, ihr Schweigen zu brechen und Unterstützungs- und Hilfsangebote anzunehmen. Auch soll sie all jenen helfen, die auf einen Verdacht richtig reagieren wollen.