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zusammenLeben ohne Gewalt

THEMA: Gewaltfreie Sprache

Expertinnenstimme

Margit Scholta

Mag.a Dr.in Margit Scholta

Mag.a Dr. in Margit Scholta

Begriffe schaffen Wirklichkeit

Mithilfe der Sprache können wir uns verständigen, informieren und Meinungen kundtun. Laut Wilhelm von Humboldt ist die „Sprache das Medium des Denkens und der Weltauffassung“ und die Verwendung einer bestimmten Begrifflichkeit legt bestimmte Sichtweisen fest. In Bemerkungen über Menschen, Dinge und Sachverhalte werden Standpunkte geäußert und Wertungen vorgenommen.

Wie sehr die Sprache das Denken beeinflussen kann, hat der 1949 veröffentlichte Roman „1984“ von George Orwell beschrieben: das „Neusprech“ ist eine künstlich veränderte Sprache, aus der von der machthabenden Partei bestimmte Begriffe eliminiert und durch neue Wörter ersetzt wurden, um bei den Untertanen erwünschte Verhaltensweisen und Haltungen zu erzeugen.

Sprache ordnet die Welt und ermöglicht neue Gedanken und Einsichten, gibt also nicht nur Bestehendes wieder, sondern beeinflusst auch die Sicht der Dinge – sie ist wirklichkeitsschaffend.

Auch was wir über das Altern und über ältere Menschen denken, wird in erheblichem Maße durch das Reden darüber beeinflusst. Die Bedeutung und die Wertschätzung, die wir den alten Menschen entgegenbringen, hängen immer auch von der Art ab, wie darüber kommuniziert wird.

Sprachliche Abwertung des Alters

In den alternsorientierten Wissenschaftsdisziplinen wird die nach wie vor steigende Lebenserwartung als Folge medizinischer Leistungen und hoher Lebensstandards gepriesen. Die wachsende Anzahl hochbetagter Frauen und Männer als aus dieser Entwicklung notwendigerweise entstehende Konsequenz hingegen wird als „Überalterung der Gesellschaft“, „Altenlawine“ oder „Seniorenboom“ beklagt.

Die Folgen des demographischen Wandels werden überwiegend negativ beschrieben. Alterscrash, Altenexplosion oder –notstand erzeugen den Eindruck von hereinbrechenden Naturkatastrophen, denen die jüngeren Generationen hilflos ausgeliefert sind.

Verknüpfungen der Worte Senioren oder Pensionisten mit Ereignisbezeichnungen wie –welle, -lawine, -schwemme vermitteln das Bild, dass es sich bei Menschen eines bestimmten Alters um etwas Unwillkommenes, in übergroßer Zahl Vorhandenes handelt, um eine schwer abzuschätzende, verheerende Katastrophe, die massive Gegenmaßnahmen erfordert, um sich vor ihr zu schützen.

Verstärkend kommt hinzu, dass die alternden Menschen für eine weitere Facette des demographischen Wandels verantwortlich gemacht werden: die Verschiebung der Proportion Erwerbstätige: PensionistInnen zu Ungunsten der Jungen. Dies ist nicht allein auf die hohe Lebenserwartung zurück zu führen, sondern auch auf den Rückgang der Geburtenrate, der jedoch ebenfalls der älteren Generationen zugeschrieben wird.

Mit „graue Gefahr“ und „Gerontokratie mit kleptomanischen Zügen“ wird die alternde Bevölkerung beschrieben und der falsche und inhumane Eindruck erweckt, als hätte sie nie Steuern und Beiträge für die Sozialversicherung geleistet und würde ihre Pensionen zu Unrecht beziehen.

Unworte

Es sind keine einmaligen verbalen Entgleisungen oder gedankenlose Ausrutscher, die zur Beschreibung der älteren Österreicherinnen und Österreicher Formulierungen wie „alt, aber gierig“ oder „rüstige Rentner mit ausschließlicher Tagesfreizeit“ verwenden, optisch unterstützt durch eine Zahnprothese mit Vampirzähnen im Wasserglas, sondern es handelt sich um den bewusst eingesetzten öffentlichen Sprachgebrauch – die Beispiele stammen von einer Titelgeschichte der Wochenzeitschrift „profil“ (Gernot Bauer und Eva Linsinger, Die Graue Gefahr, Nr. 35/2009). Die negative Etikettierung einer gesellschaftlichen Gruppe ist beabsichtigt oder wird zumindest in Kauf genommen.

Seit den 1990er Jahren sammelt die Gesellschaft für Deutsche Sprache solche altersdiskriminierenden Ausdrücke, die sich zum Teil auch als Unworte des Jahres wieder finden. 1995/96 waren das Rentnerschwemme und Altenplage.

Selbst wenn man Ausdrücke wie Mumie, Kalkleiste oder Komposti der Jugendsprache zurechnet und ihr jugendliche Unbekümmertheit zugute hält, können sie einer allgemeinen Verunglimpfung des Alters Vorschub leisten.

Ageismus

Oft genug wird sprachliche Altersdiskriminierung toleriert. Im Sprechen und Denken wird jedoch benachteiligendes Handeln vorbereitet. Daraus entstehen ganz rasch Altersfeindlichkeit und soziale Diskriminierung, die sowohl den Alterungsprozess als auch das Altsein als negativen Zustand stigmatisieren. Soziale Diskriminierung bedeutet, dass Menschen nicht als Individuen, sondern lediglich als Angehörige sozialer Kategorien gesehen und pauschal etikettiert und behandelt werden. Dieser Prozess ist meist mit einer negativen herabsetzenden Bewertung verbunden.

Die Verwendung des Eigenschaftswortes alt oder alltagssprachlicher Entsprechungen wie abgetakelt, ausgemustert oder welk waren nicht „auf Personen und das menschliche Alter beschränkt, sondern dienten ursprünglich der Kennzeichnung des Alters von Gegenständen und Sachverhalten. Durch die Gleichsetzung mit unbelebten Dingen wird die „menschliche“ Komponente in alt gleichsam unterdrückt. Diese sprachliche Nivellierung von unbelebten Dingen und Menschen ist ein typischer Mechanismus in Diskriminierungsprozessen.“ (vgl. Kramer, 2009)

Von der Verunglimpfung und Abwertung ist es nur ein kleiner Schritt zur konkreten Benachteiligung von älteren Menschen oder sogar zur Entstehung von Gewalt.

Respektloses Verhalten gegenüber älteren Menschen, mangelnde Rücksichtnahme auf ihre Lebenssituation und Bedürfnisse, das Vorenthalten von Leistungen und das Tolerieren von Übergriffen entstehen aus einem herrschenden gesellschaftlichen Klima, das sprachliche Demütigungen und Abwertungen zulässt.

Ausblick

Lassen sich durch die Sprache das Bewusstsein und die gesellschaftliche Meinung beeinflussen?

Zaghafte Anzeichen dafür gibt es in der Berichterstattung über Senior-Experten und –Expertinnen in der Wirtschaft, über den menschlichen und wirtschaftlichen Nutzen für die Gesellschaft und durch die Widerlegung vieler Vorurteile hinsichtlich Gesundheitszustand und Leistungsfähigkeit im höheren Lebensalter.

Eine kontinuierliche Sprachkritik und mehr Selbstkontrolle beim Formulieren und Sprechen können die sprachliche Diskriminierung eindämmen, denn „Was wir über das Alter, das Altsein oder alte Menschen denken, wird nicht zum geringsten Teil durch die sprachlichen Bezeichnungen, die wir dafür verwenden, beeinflusst.“ (vgl. Cherubim 2001). 

Mag.a Dr. in Margit Scholta, Soziologin und Erwachsenenbildnerin. „Gewalt an älteren Menschen“ ist ein Schwerpunkt in ihrer Vortragstätigkeit und als Vorsitzende von Pro Senectute Österreich.

Literatur

  • [1] Gernot Bauer, Eva Linsinger: Graue Gefahr: wie eine Kaste von Langzeitrentern den Jugend die Zukunft stiehlt. In: Zeitschrift profil, Nr. 35/2009, Wien, 2009
  • [2] Karl Friedrich Graumann: Sprachliche Diskriminierung. UniSpiegel der Universität Heidelbarg Nr.4, 1994
  • [3] Wilhelm von Humboldt: Schriften zur Sprachphilosophie. Darmstadt, 1988
  • [4] Undine Kramer: Ageismus - Zur sprachlichen Diskriminierung des Alters. Reinhard Fichter, Caja Thimm, Sprache und Kommunikation im Alter, Radolfzell, 2003
  • [5] Undine Kramer: „Rentnerschwemme“ und andere Unwörter. Pro Senectute, Wien, 2007
  • [6] Bärbel Mende-Danneberg: Nach der gelben: die graue Gefahr. Volksstimme, Oktober, 2009
  • [7] George Orwell: 1984. Frankfurt/M., 1976
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