THEMA: Gewalt von Kindern an Eltern
Expertinnenstimme

Mag.a Theresia Ruß
Mag.a (FH) Theresia Ruß
Autorität in der Erziehung
Seit mehr als zehn Jahren befasst Haim Omer, Professor für Klinische Psychologie an der Universität Tel Aviv, sich mit der Frage, wie sich das Denken und Handeln des „Gewaltlosen Widerstands“ in die Beratungsarbeit integrieren lässt. Ausgehend von der Arbeit mit Eltern, die sich ihren Kindern gegenüber hilflos fühlen, ja, sich vor ihnen fürchten, ist in der Zusammenarbeit von Haim Omer und Arist v. Schlippe ein Konzept entstanden, das in Deutschland unter der Bezeichnung „Elterncoaching“ bekannt geworden ist.
Der Begriff „Neue Autorität“ wurde in diesem Zusammenhang von Haim Omer geprägt, um ein verändertes (und sich veränderndes) Selbstverständnis von Autorität zu skizzieren. Während das letzte Jahrhundert im Zeichen eines zunehmenden Verfalls herkömmlicher Bilder von Autorität stand, bis hin zu einer Infragestellung jeglicher ihrer Formen, basiert eine „neue Autorität“ auf völlig anderen Bildern und Prämissen: Im Zentrum dieses neuen Denkens steht der Begriff der Präsenz.
Stärke statt Macht, das Konzept der „Neuen Autorität“ in der Familie ist für Leute, die sich mit Erziehungsproblemen herumschlagen.
Zunehmend werden wir auf das Phänomen der Gewalt von Kindern und Jugendlichen ihren eigenen Eltern gegenüber aufmerksam.
Zunehmend verlieren Eltern in ihrer Familie die Autorität. Sie werden an den Rand der Familie gedrückt und fürchten sich vor ihren Kindern.
Die Kinder haben in der Familie das Heft in die Hand genommen – sei es durch renitentes Verhalten, durch eine körperliche Symptomatik, durch Suiziddrohungen, durch destruktives Verhalten oder offene Gewalt.
Das Konzept beruht auf der erfolgreichen Arbeit von Haim Omer, der mit hunderten von Familien gearbeitet hat, in denen die Häufigkeit gewalttätiger Interaktionen dadurch deutlich zurückgegangen ist.
Basierend auf den Gedanken Gandhis über den gewaltlosen Widerstand: Schrittweise stellen die Eltern/Erzieher/-innen ihre Präsenz wieder her und sorgen gleichzeitig dafür, dass die Punkte, an denen es gewohnheitsmäßig zu Eskalation kam, entschärft werden.
Eltern/Erzieher/-innen brauchen Unterstützung, damit sie ihre Autorität wiedererlangen. In konkreten Schritten sollten Eltern durch Coaching befähigt werden, bei ihren Kindern wieder präsent zu sein. „Präsenz“ ist ein Schlüsselbegriff, und damit ist wörtlich die räumliche, körperliche Präsenz gemeint.
Zentrales Anliegen ist es, die Dynamik der Konflikteskalation mit Gewinnern und Verlierern zu durchbrechen. Innere Haltungen sollen hinterfragt und überprüft werden, sodass auch neue Wege der Stärkung der erzieherischen Kompetenz beschritten werden können. Wichtig ist es, auf den Sprachgebrauch zu achten und sich deren Bedeutung bewusst zu werden.
Vernetzungen innerhalb der Familie auch auf Verwandte und Freunde ausgeweitet, kann auf verschiedenster Weise zur Entschärfung der Situation dienlich sein. Dies ist zur Unterstützung der Erziehungsberechtigten hilfreich, soll aber auch als Auffangnetz für Kinder und Jugendliche hilfreich sein.
In zahlreichen kurzen Beispielen veranschaulicht Haim Omer in seinem Buch, wie gelähmte, blockierte Eltern und Pädagogen/innen durch diese einfache Methode ihr Selbstvertrauen, ihre Stimme wieder finden können. Sie werden wieder handlungsfähig.
Mag.a (FH) Theresia Ruß, Leiterin im Kinderschutzzentrum Mostviertel-Amstetten, u.a. Psychosoziale Prozessbegleitung bei Kinder und Jugendlichen
Literatur
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[1] Haim Omer, Arist von Schlippe: Autorität durch Beziehung. Vandenhoeck & Ruprecht, 2010
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[2] Arist von Schlippe, Michael Grabbe: Werkstattbuch Elterncoaching. 2007