THEMA: Gewaltprävention in der Schule
Expertenstimme

Mag. Dr. Ingo Bieringer
Mag. Dr. Ingo Bieringer
Ganzheitliche Maßnahmen als Chancen erkennen und umsetzen
Die breite Öffentlichkeit diskutiert über "Gewalt in der Schule" meist nur - dann aber umso empörter -, wenn etwas Aufsehenerregendes geschieht. Also vergleichsweise selten. Im Normalfall wird das Thema ausgeblendet. Die Plattform gegen Gewalt in der Familie sieht es als eine ihrer Aufgaben, zwischen diesen Polen - Skandalisierung einerseits und Ausblendung andererseits - für das Thema zu sensibilisieren und konstruktive Modelle zur Gewaltprävention zu entwickeln. Dieser Beitrag veranschaulicht in aller Kürze, auf welchen Ebenen Gewaltprävention in der Schule ansetzen kann. Gewaltprävention bedeutet dabei nicht, dass es mehr Kontrolle, Disziplinierung oder Überwachung geben soll. Gewaltprävention bedeutet auch nicht, dass Schulen zu konfliktfreien Zonen werden sollen/können. Im Gegenteil: Gewaltprävention in der Schule heißt, auf allen Ebenen mehr Konflikte rechtzeitig konstruktiv zu klären und dafür unterstützende Rahmenbedingungen zu installieren. Mit Gewaltprävention meine ich eine ganzheitliche Denk- und Handlungsweise, die auf Konfliktmanagement, Deeskalation, Kooperation und Teamarbeit beruht.
Gewaltprävention sollte sich nicht auf einzelne Kinder und Jugendliche beschränken, wenngleich dies ein wichtiger Aspekt ist. Unserer Erfahrung nach ist Gewaltprävention dann erfolgreich, wenn ein Schulstandort als ein komplexes, zusammenhängendes System gesehen wird, welches in einen Stadtteil oder eine Region eingebettet ist. In dieser Sichtweise kommt der Schulpolitik die zentrale Bedeutung zu, Rahmenbedingungen zu ermöglichen und Ressourcen bereit zu stellen, welche die Umsetzung der Aufträge unterstützt. Demzufolge unterscheide ich im Folgenden zwischen möglichen Maßnahmen auf der Mikro-, der Meso- und der Makroebene.
Auf der Mikroebene (Individuum, Klasse, Kollegium)
- Unterstützung, Beratung und Förderung einzelner SchülerInnen in der Schule (Schulpsychologie, VertrauensLehrer/innen, Schulsozialarbeit, Mentoring)
- Soziales Lernen, Kommunikation, Kooperation, Konfliktmanagement in den Klassen als integraler Bestandteil des Schulalltags
- Workshops zur politischen Bildung und Konfliktbearbeitung
- Einzelcoaching und Teamsupervision für Lehrer/innen
Auf der Mesoebene (Schulstandort)
- Implementierung gewaltpräventiver Programme (Peer-Mediation, soziales Lernen etc.), die Kooperation fördern
- Fächer- und gruppenübergreifendes Lernen
- Entwicklung und Durchführung geschlechtsspezifischer Angebote für Schüler/innen
- Kooperation mit Eltern
- Schulparlament, demokratiefördernde Gemeinschaftsbildung
- Enge Kooperation mit psychosozialen Organisationen, Kulturvereinen, Betrieben und Polizei
- Ausbau schulinterner Lehrer/innenfortbildung und Teamentwicklung
- Organisationsentwicklung/Schulentwicklung. Erfahrungsgemäß sind folgende Fragen in Schulen von besonderer Relevanz:
- Wofür steht unsere Schule? Was bieten wir an? Was verstehen wir als unsere gemeinsame "Mission"?
- Sind die Zuständigkeiten geklärt? Wird die Schulleitung formal und informell anerkannt? Welche Entscheidungskompetenzen haben die Schulleitung bzw. einzelne Zuständige?
- Wie bewerten wir Unterschiedlichkeiten und wie können wir Nutzen daraus ziehen (Diversity-Management)?
- Wie ist das Klima zwischen den Lehrer/innen? Zwischen Lehrer/innen und Eltern? Zu Behörden? Zu anderen Organisationen?
Auf der Makroebene (Schulpolitik und -verwaltung)
Wenn von Schule gesprochen wird, werden häufig zwei Ebenen vermischt. Einerseits geht es um die Schule als Institution. Auf dieser Ebene gilt es, Rahmenbedingungen zu gestalten, damit die definierten Aufträge am Schulstandort tatsächlich umgesetzt werden können. Denn andererseits geht es um Schule als Organisation, also um konkrete Einrichtungen mit beteiligten Menschen, welche dauerhaft und zielgerichtet arbeitsteilig miteinander arbeiten.
Schule ist traditionell ein ideologisch aufgeladenes politisches Feld. Diese Tatsache erschwert die Klärung wichtiger Fragen und hat in der Vergangenheit zu Kompromissen geführt, die viele wichtige Fragen offen ließen. Was ist der Auftrag an die Schule? Ist es Aufgabe der Lehrer/innen, Bildung im klassischen Sinn zu vermitteln und Er- bzw. Beziehungsarbeit zu leisten? Wenn ja, was benötigen Schulen und Lehrer/innen dafür (Zeit, Räume, Kompetenzen, …)? Was genau gehört zum Berufsbild des Lehrers/der Lehrerin? Sind Lehrer/innen Einzelarbeiter/innen und/oder Teamarbeiter/innen? Aus gewaltpräventiver Sicht wäre es notwendig, dass Lehrer/innen als Teamarbeiter/innen ausgebildet werden, sich diese Arbeitsweise im Berufsbild verankert und die (räumlichen, zeitlichen, finanziellen) Voraussetzungen dafür definiert werden. Pädagogisch schwierige Situationen erfordern Kooperation, Kommunikation, Flexibilität und Klarheit!
Schlussbemerkungen
Diese Vorschläge sind weitreichend, und es liegt auf der Hand, dass sie ein Umdenken und zusätzliche Ressourcen erfordern. Es ist zu wünschen, dass in solchen Maßnahmen die vielfältigen Möglichkeiten erkannt werden, Schule als lern- und beziehungsfreundlichen Lebensraum zu entwickeln. Denkt man ganzheitlich, werden die damit verbundenen Kosten bereits kurzfristig, wesentlich aber mittelfristig an anderen Stellen eingespart. Es geht also um nichts Geringeres als die Chance, offen kreative Entwürfe zu erarbeiten, die Rahmenbedingungen dafür bereit zu stellen und konsequent umzusetzen!
Mag. Dr. Ingo Bieringer, geb. 1970, Soziologe, Mediator und Organisationsberater. Projektleiter im Friedensbüro Salzburg. Zahlreiche Publikationen zu Konfliktmanagement, Deeskalation und Gewaltprävention. Lehrbeauftragter an der FH Salzburg und der Donau-Universität Krems.
Literatur
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[1] Friedrich Glasl: Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater. Stuttgart, 2004
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[2] Günther Gugel: Handbuch Gewaltprävention. Für die Grundschule und die Arbeit mit Kindern. Tübingen, 2009
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[3] Günther Gugel : Handbuch Gewaltprävention II. Für die Sekundarstufe und die Arbeit mit Jugendlichen. Tübingen, 2010
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[4] Mathias Schwabe: Eskalation und De-Eskalation in Einrichtungen der Jugendhilfe. Konstruktiver Umgang mit Aggression und Gewalt in Arbeitsfeldern der Jugendhilfe. Frankfurt a.M., 2002