Thema: Täterarbeit ist Opferschutz
Expertenstimme

Dr. Heinrich Kraus
Dr. Heinrich Kraus
Motivierende Gesprächsführung (MI)
Die Stufen der Veränderung in der Arbeit mit Männern, die gegenüber ihren Partnerinnen gewalttätig wurden.
„Motivierende Gesprächsführung“ (Motivational Interviewing, MI) ist ein Behandlungsstil, der von William R. Miller und Stephen Rollnik in den frühen achtziger Jahren im Rahmen der therapeutischen Arbeit mit wenig motivierten und wenig veränderungsbereiten Suchtpatienten entwickelt wurde.
MI ist eine partnerschaftliche, zielorientierte, direktive Methode der Kommunikation zur Entwicklung und Stärkung der Veränderungsmotivation, die auf dem transtheoretischen Modell der Verhaltensänderung (TTM) von Prochaska & DiClemente (1984) basiert.
Empirische Studien zum TTM haben gezeigt, dass sich jeder Einzelne (aber auch größere Systeme) entlang unterschiedlicher Stufen bewegt, wenn er/sie schädliche Verhaltensweisen aufgibt und durch gesunde ersetzt. Diese sind:
1. Absichtslosigkeit:
In diesem Stadium leugnet eine Person, dass sie ein Problem hat. Sie ist sich der negativen Konsequenzen ihres Verhaltens nicht bewusst oder glaubt, dass diese unbedeutend sind. Sie sieht daher keine Notwendigkeit einer Verhaltensänderung.
Wenn sie von anderen darauf aufmerksam gemacht wird, dass sie ein Problem hat, reagiert sie abwehrend. Wenn Männer dieses Stadiums eine Trainingsauflage bekommen, verhalten sie sich zunächst einmal als defensive Betrachter.
2. Absichtsbildung:
Hat sich ein gewisses Problembewusstsein gebildet, so wechselt die Person in das durch Ambivalenzen charakterisierte Stadium der Absichtsbildung. Sie schwankt zwischen Besorgnis und Sorglosigkeit.
Einerseits ist sie sich der Vorteile einer Verhaltensänderung bewusst, andererseits überschätzt sie aber die Kosten, Risiken und möglichen Rückschläge.
Die Ambivalenzen sind in diesem Veränderungsstadium ganz normal und kein Ausdruck eines pathologischen Persönlichkeitsmerkmals.
3. Vorbereitung
Nun hat sich die Person für eine Veränderung entschieden und drückt dies auch klar aus. Vielleicht hat sie sogar schon kleine Schritte in Richtung Veränderung unternommen.
Das Zeitfenster, in dem die Veränderung möglich wird, ist allerdings kurz. Deshalb wird dieses Stadium auch als Durchgangsstadium gesehen. Bleibt die Person in den nächsten Wochen aktiv, wechselt sie in das nächste Stadium. Ansonsten fällt sie wieder in das Stadium der Absichtsbildung zurück.
4. Handlung
In diesem Stadium unternimmt die Person konkrete Schritte der Verhaltensänderung im Problembereich. Gewalttätige Männer in diesem Stadium sind zwar zur Veränderung ihres gewalttätigen Verhaltens motiviert, Studien konnten aber zwei unterschiedliche Typen identifizieren, nämlich solche mit hoher und solche mit einer niederen Rückfallwahrscheinlichkeit.
Gegenüber ihren Partnerinnen gewalttätige Männer mit einer hohen Rückfallwahrscheinlichkeit brechen trotz ähnlicher Motivation doppelt so häufig die Behandlung ab wie Männer der anderen Gruppe (Levesque & Chell, 1999).
5. Aufrechterhaltung
Personen in diesem Stadium waren bisher in der Lage, die angestrebten Verhaltensänderungen eine Zeit lang aufrecht zu erhalten. Die Hauptaufgabe für sie besteht nun darin, die erzielten Verhaltensänderungen zu festigen und möglichen Rückfällen vorzubeugen.Für die meisten Menschen ist dieser Veränderungsprozess nicht linear, sondern verläuft in Spiralen mit Rückfällen in frühere Stadien, bis sich die Verhaltensänderung schließlich stabilisiert hat.
Eine Person kann sich auch bezüglich unterschiedlicher Verhaltensweisen in unterschiedlichen Stadien befinden z B. hinsichtlich ihres Alkoholkonsums im Stadium der Absichtsbildung und hinsichtlich ihres gewalttätigen Verhaltens im Stadium der Handlung.
Allgemeine Prinzipien der MI
Auf das motivationale Stadium abgestimmte Interventionen erhöhen die intrinsische Motivation zur Veränderung.
Empirische Studien, in denen das TTM auf Trainingskandidaten für Anti-Gewalt-Programme angewendet wurde, haben gezeigt, dass sich nur zwischen 21% und 36% der Männer zu Beginn des Trainings im Vorbereitungs- oder Handlungsstadium befinden (Levesque et al., 2001).
In einer Studie mit Wiener Trainingskandidaten (n=37) fand der Autor folgende Verteilung: 5 Männer (13%) waren im Stadium der Absichtslosigkeit, 23 Männer (62%) im Stadium der Absichtsbildung und 9 Männer (24%) im Vorbereitungsstadium.
Der Großteil der Männer sieht entweder keine Notwendigkeit einer Verhaltensänderung oder ist voller Ambivalenzen und noch nicht bereit das gewalttätige Verhalten in naher Zukunft durch gewaltfreie Alternativen zu ersetzen. Jedes Stadium kennt unterschiedliche Interventionstechniken.
Um einen optimalen Behandlungserfolg sicherzustellen ist es daher notwendig die Männer dort abzuholen, wo sie stehen und die Interventionen auf das motivationale Stadium, in denen sie sich befinden abzustimmen.
MI ist für sie die Methode der Wahl, weil sie darauf abzielt, die intrinsische Motivation zu erhöhen, indem die Änderungsambivalenzen der Männer systematisch erkundet und aufgelöst werden.
Vier allgemeine Prinzipien vermitteln den Geist von MI in den konkreten Methoden. Diese sind:
1. Empathie ausdrücken
Es ist mittlerweile Allgemeingut, dass diejenigen Therapeut/innen und Berater/innen einen besseren Behandlungserfolg erzielen, die ein hohes Maß an empathischer Zuwendung dem Patienten gegenüber zum Ausdruck bringen.
Das primäre Ziel ist deshalb die Schaffung eines unterstützenden Klimas, in dem Konflikte und Ambivalenzen offen exploriert werden können. Einfühlsames Verstehen gelingt hauptsächlich durch reflektierendes Zuhören und dem Stellen von offenen Fragen.
Der Mann wird als Mensch mit seinen Gefühlen und Bedürfnissen angenommen, gleichzeitig erfolgt aber eine Distanzierung von seinem gewalttätigen Verhalten.
2. Diskrepanzen entwickeln
Die meisten Männer sind nicht stolz darauf, ihre Partnerinnen geschlagen zu haben. Veränderungsmotivation entsteht dann, wenn die Männer eine Diskrepanz zwischen dem, wo sie stehen und dem, wo sie sein wollen, wahrnehmen.
Deshalb zielen die Interventionen darauf ab, im Mann Diskrepanzen zwischen seinem derzeitigen Verhalten und den von ihm eigentlich erwünschten Zustand von Gewaltfreiheit zu entwickeln.
Eine der möglichen Interventionen ist die Entscheidungsmatrix. In ihr wird das Für und Wider einer Veränderung und das Für und Wider einer Beibehaltung des Status Quo exploriert.
3. Widerstand umlenken
Der Widerstand von gewalttätigen Männern kann u a. in Schuldzuweisungen, Verharmlosungen, Verleugnungen und Kontrollverlust zum Ausdruck kommen.
MI sieht Widerstand als eine Form des Selbstschutzes, der nicht konfrontiert werden sollte, weil er sich sonst verstärkt. Im Gegenteil, durch Vermeidung von Argumentation und Besserwisserei sollte der Widerstand möglichst vermieden werden. Tritt er als natürlicher Teil im Veränderungsprozess trotzdem auf, wird er als Momentum begriffen um die Sichtweise des Mannes weiter zu explorieren.
Eine der Techniken ist das Widerspiegeln von Ambivalenzen.
4. Selbstwirksamkeit fördern
Selbstwirksamkeit ist die Überzeugung ein bestimmtes Ziel innerhalb bestimmter Zeitkriterien erreichen zu können. Die Zuversicht eines Mannes sein Verhalten ändern zu können ist einer der besten Prädikatoren für Veränderung.
Deshalb ist es eine der zentralen Aspekte von MI die Änderungszuversicht der Männer zu stärken.
Eine der Techniken ist der Rückblick auf vergangene Erfolge:
„Wann in der Vergangenheit waren Sie in einer ähnlichen Situation, haben es aber geschafft gegenüber ihrer Partnerin nicht gewalttätig geworden zu sein? ... Wie haben Sie das gemacht?
... Was gab es für Hindernisse und wie haben Sie diese überwunden?“
Internationale Studien zeigen, dass MI in den Anfangsphasen der Beratung/ Therapie die Abbruchrate senkt und die Bereitschaft sich auf ein Training einzulassen deutlich erhöht.
Dr. Heinrich Kraus, Psychotherapeut (Analytische Psychologie)
Er arbeitet seit 1999 im "Trainingsprogramm zur Beendigung von gewalttätigem Verhalten in Paarbeziehungen" in der Männerberatung.
Gemeinsam mit Mag. Eva Dvoulety leitet er eine Gruppe für gewalttätige Männer nach dem schottischen CHANGE- Modell und sorgt für die psychologische Diagnostik und Evaluierung des Programms. Darüber hinaus ist er in mehreren Justizanstalten tätig.
Literatur
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[1] Levesque, D. A., Driskell, M. M. , Prochaska, J.M. & Prochaska, J. O.: Acceptability of a Stage Matched Expert System Intervention for Domstich Violence Offenders. In: Murphy, C. M. & Maiuro, R. D. (ed.), Motivational Interviewing and Stages of Change in Intimate Partner Violence, Springer, New York, 2009
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[2] Levesque, D. A., & Chell, D. : Stage of change and attrition from batterer treatment. 1999
Paper presented at the 51s annual meeting of the American Society of Criminology, Toronto.
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[3] Miller, W. R. & Rollnick, S.: Motivational Interviewing: Preparing People for Change. Guildford Press, New York, 2002
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[4] Prochaska, J. O., & DiClemente, C. C. : The transtheoretical approach: Crossing the traditional boundaries of therapy. Homewood, IL., Dow Jones-Irwin, 1984