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zusammenLeben ohne Gewalt

THEMEN 2013

Expertinnenstimme

Zwangsheirat Plakat

Zwangsheirat Plakat

Meltem Weiland

Zwangsheirat kostet dich deine Freiheit. Lebenslänglich!

Als Orient Express haben wir mit dem Schwerpunkt Präventionsarbeit eine sehr schwierige Aufgabe übernommen. Wir möchten Zwangsheirat verhindern, ausradieren, ja gänzlich abschaffen. Sich gegen eine althergebrachte Tradition und eine gesellschaftliche Vorgangsweise zu stellen ist mehr als schwierig. Vor der Zwangsehe wegzulaufen heißt nicht nur vor einem gewalttätigen Ehemann oder Vater zu flüchten, sondern auch vor einem Brauch, der ganzen Familie und sogar vor dem eigenen Umfeld.

Obwohl der Begriff Zwangsheirat heutzutage schon begraben und unvorstellbar scheint, ist es eine Tatsache, dass Zwangsheirat aktueller und akuter geworden ist denn je. Töchter von Migrant/innen sitzen im wahrsten Sinne des Wortes nicht nur zwischen den Sesseln der Generationen, sondern auch zwischen den Traditionen und Mentalitäten. Einerseits müssen sie darum kämpfen, sich in der Umgebung und der Gesellschaftsform, in der sie bereits leben wohl zu fühlen, andererseits fängt ab dem 14. Lebensjahr der Kampf um die eigene Entscheidungskompetenz und persönliche Integrität in der Familie an.

Die weiblichen Jugendlichen werden vor einem Sommerurlaub im Heimatland unter Druck gesetzt, einen fremden und meistens von den Eltern ausgesuchten Mann zu heiraten, der oft sogar ein (entfernter) Verwandter ist. Somit bleibt ihnen nicht viel Zeit, sich gegen diesen Zwang zu wehren oder Hilfe zu suchen. Sie dürfen nicht entscheiden ob, wann oder wen sie heiraten möchten, es wird einfach für sie entschieden. Sie dürfen sich dagegen nicht wehren, weil damit die Ehre der Familie verletzt würde. Die Ehre der Familie hängt vom Verhalten der Töchter ab, der Verhaltenskodex wird aber von den männlichen Familienmitgliedern bestimmt und überwacht.

Innerhalb weniger Wochen muss sich für die Betroffene das Bild „Weiblichkeit“ völlig ändern, selbst mit 14 Jahren, muss sie sich sofort in eine Frau verwandeln.

Solch ein Spannungsfeld zwischen der Außenwelt (Schule, Umgebung, Freundeskreis) und der Innenwelt (Familie und Traditionen) auszuhalten und darauf basierend noch Perspektiven für eine ungewisse Zukunft aufzubauen, ist für weibliche Jugendliche der zweiten und dritten Generation aus Migrant/innenfamilien die Herausforderung schlechthin.

Ein anderer Grund für die Zwangsverheiratung ist Armut. In einigen Ländern - haben die Töchter keinen Platz im Elternhaus. Sie werden ab der Geburt nur als Belastung für das Familieneinkommen gesehen. Die Mädchen werden von den Vätern des Brautgeldes wegen verkauft. Die Verkaufsgefahr beginnt um das siebte Lebensjahr. Ein Mädchen kann ihre Kindheit nicht genießen. 7-8-9jährige Kinderbräute werden in den meisten Familien von ihren Ehemännern geschlagen, vergewaltigt und zu schweren körperlichen Hausarbeiten gezwungen, wie Sklavinnen gehalten und behandelt.

In diesen Ländern sind Kinderbräute körperlich nicht ausgewachsen. Es kommt sehr oft zu Verletzungen beim Geschlechtsverkehr. Die wichtigste von ihren Aufgaben ist, einen Sohn auf die Welt zu bringen. Der Körper der Mädchen ist aber noch nicht reif für eine Schwangerschaft. Deshalb kommt es häufig zu Fehl- oder Frühgeburten oder die Babys kommen unterentwickelt zur Welt. Das ist dann „selbstverständlich“ die Schuld der Mädchen.

Zwangsheirat stellt eine Form der Gewalt gegen Menschen dar, die ohne Wenn und Aber abzulehnen ist.

In Österreich haben wir keine verlässlichen Zahlen darüber, wie viele Mädchen von Zwangsheirat betroffen sind. Die internen Erhebungen zeigen, dass uns durch unsere Workshops in den Schulen, Sensibilisierungs- und Aufklärungskampagnen sowie Projekte immer mehr von Zwangsheirat bedrohte Personen erreichen. Im Jahr 2009 haben wir mehr als 70 Klientinnen betreut, die sich gegen eine Zwangsehe gewehrt haben.

Wie auch bei anderen Gewaltformen ist auch Zwangsheirat eine Menschenrechtverletzung unter anderem auch eine sexualisierte Gewaltform. Jegliche Gewaltform ist abzulehnen, auch Zwangsheirat!

Eine Zwangsehe ist Gewalt. Aus diesem Grund darf sie auf keinen Fall als eine familiäre, gar kulturelle Angelegenheit gesehen und betrachtet werden.

Zwangsheirat kann verhindert werden, indem Familien eine Möglichkeit für einen neuen Zugang zu ihren eigenen Kinder finden, sich weiter mit dem Thema auseinanderzusetzen und ihren Kindern eine andere Zukunftschance zu geben.

Die Jugendlichen hingegen brauchen Zukunftsperspektiven, um in der Gesellschaft einen Platz finden zu können. Sie stecken meist zwischen Traditionen und Bräuchen der Herkunftsgesellschaft der Eltern und der österreichischen Gesellschaft fest. Daher tun sie sich schwer, sich zu orientieren und auf ihre Zukunft zu konzentrieren.

Die Gesellschaft und Politik muss ebenfalls dazu bereit sein, dieser Problematik nicht nur einen kulturellen Namen zu geben, sondern effektive Maßnahmen zu ergreifen.

Denn das Problem hat schon einen Namen: Zwangsheirat!

Meltem Weiland, ORIENT EXPRESS Beratungs-, Bildungs- und Kulturinitiative für Frauen, Frauenservicestelle 

Literatur

  • [1] Bundesministerin für Frauen und Öffentlichen Dienst: Tradition und Gewalt an Frauen. 2009

    Weitere Informationen
  • [2] Zentrum Polis. Politik lernen in der Schule: Zwangsheirat. In: polis aktuell 2006/1 (aktual. Aufl. 2010)
    Das Heft beantwortet zentrale Fragen rund um Hintergründe, Erscheinungsformen, Konsequenzen und Handlungsmöglichkeiten, einen Didaktikteil, der sich dem Thema über eine Fallgeschichte annähert, ein Glossar mit Definitionen der zentralen Begriffe und einen Serviceteil mit Literatur- und Webtipps etc.

    Weitere Informationen
  • [3] Bielefeldt, Heiner: Zwangsheirat und multikulturelle Gesellschaft. Anmerkungen zur aktuellen Debatte. Deutsches Institut für Menschenrechte, 2005
  • [4] Terre des femmes (Hrsg): Zwangsheirat- Lebenslänglich für die Ehre.
    Das Buch geht auf die Problematik von Zwangsheirat im internationalen Kontext und in Deutschland ein.
  • [5] Toprak, Ahmet: Das schwache Geschlecht - die türkischen Männer. Zwangsheirat, häusliche Gewalt, Doppelmoral der Ehre. Lambertus Verlag, Freiburg im Breisgau, 2005
    Ist Zwangsheirat nur ein Thema der türkisch-muslimischen Frauen oder betrifft es auch die Männer? Im Kontext der Zwangsehe ist das öffentliche und politische Augenmerk auf die Frauen gerichtet und die Männer werden kaum thematisiert. Was aber denken sie über Zwangsehen, Familiengründung, innerfamiliäre Kommunikation, Sexualität, Gewalt in der Ehe sowie sexuelle Gewalt in Form von Vergewaltigung? Diese Themen sind aus der Sicht der Männer nie beleuchtet worden, weil sie die türkisch-muslimische Community tabuisiert. Der Autor rollt das Thema Zwangsheirat aus Sicht türkischer Männer der zweiten und dritten Generation auf. Er befragt Männer, die in Deutschland geboren oder aufgewachsen sind, aber ihre Ehefrauen bewusst in der Türkei aussuchen. (Klappentext)
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