THEMEN 2013
Expertinnenstimme

Andrea Hochegger
Andrea Hochegger
Gewalt und Geschlecht – Gewalt gegen Mädchen
Subtil versteckte und offen erkennbare Gewalt gegen Mädchen in unserer westlichen Gesellschaft und wie drehungen aus für Mädchen- und Frauen parteilicher Sicht darauf antwortet.
„Was ist es denn? Ein Bub oder ein Mädchen?“ …die scheinbar wichtigste Frage beim Blick in den Kinderwagen, wenn nicht die Signalfarben rosa oder hellblau ohnehin alles schon scheinbar klargestellt haben. Warum? Um sich danach dem frischgeborenen Menschen gleich von Anfang an „richtig“ nähern zu können? Ist es eine Tochter, sieht man sofort ihre „Schönheit“, ist es ein Sohn, wird schon jetzt seine „Durchsetzungskraft“ bewundert. Schade, dass dies keine Überzeichnung ist! Auch im 21.Jahrundert haben wir uns noch nicht davon entfernt, Menschen aufgrund ihres biologischen Geschlechtes mit Zuschreibungen auf bestimmte Eigenschaften festlegen zu wollen. Nach wie vor werden Rollenstereotype nicht nur zugeteilt sondern auch massiv eingefordert. Sanktionen drohen, wenn ihnen nicht entsprochen wird.
Rollenstereotype
Die erste und massiv wirkende Gewalt gegen Menschen ist ihre Einordung in vermeintlich richtige Schemata. Martin Luther King hatte sich erträumt, dass Menschen nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter eingeschätzt werden. Das haben wir trotz eines schwarzen Präsidenten der vereinigten Staaten noch immer nicht erreicht, Rassismus gibt es hier wie dort, aber genauso gibt es einen massiven Sexismus, der bei scheinbar harmlosen Alltagsfragen beginnt und sich über ungleiche Behandlung als Kinder und Jugendliche, ungleiche Löhne und Aufstiegschancen bis hin zu offener Gewalt zieht.
Dies betrifft beide Geschlechter. Da wir jedoch in einem Patriarchat leben, das sich über Werte von enggeführter, reduzierter Männlichkeit – mit entsprechenden Werten von Weiblichkeit – definiert und alles, dieser reduzierten Männlichkeit Entsprechende, in der Gesellschaft einen höheren Status hat, trifft es Mädchen und Frauen (und natürlich auch nicht den Normen entsprechende Burschen und Männer) noch viel tiefer.
Der Bewegungsspielraum von Mädchen wird von Anfang an eingeschränkt. Mädchen dürfen sich nicht so laut artikulieren, nicht so hoch hinauf (angeblich zu ihrem „Schutz“) - das beginnt beim Klettern auf Spielgeräte, Bäume und endet, wie wir alle wissen, bei Chefetagen.
Der Handlungsspielraum von Mädchen wird eingeschränkt und gleichzeitig wächst die psychische Bedrohung, Opfer einer Gewalttat zu werden, je älter sie werden. „Alleine kannst du nicht am Abend weg gehen, alleine kannst du nicht….“
Berichte in den Medien untermauern noch immer diese Aussagen mit Schilderungen der Brutalität der „unbekannten Täter“, obwohl alle Statistiken belegen, dass Übergriffe auf Mädchen zum überwiegenden Teil im nahem Bekannten- und Verwandtenkreis stattfinden.
Mädchen scheinen einerseits einer „unausweichlichen“, angeblich „sexuellen Lust“ der Männer hilflos ausgeliefert und werden gleichzeitig angeblich „schuldig“ durch ihre „aufreizende Kleidung und Handlungsweisen“, die sie jedoch als notwendigerweise „weibliches Auftreten“ erlernen. Ausweg unmöglich.
Nach einer Studie der Weltgesundheitsorganisation stellt Gewalt gegen Frauen und Mädchen ein globales Gesundheitsrisiko mit manchmal lebenslangen körperlichen, seelischen und gesellschaftlichen Folgen dar. (vgl. Anita Heiliger: Männergewalt gegen Frauen beenden, Opladen 2000).
Mythen
Manche Schulen reagieren mit Trainings aus Kampfsportarten für Mädchen. Diese meist nicht für die realen Bedürfnisse der Mädchen ausgebildeten Trainer, üben mit den Teilnehmerinnen genau die Verfestigung dieser Übergriffs-Mythen ein: „Unbekannter Täter springt aus dem Dunkel auf das überraschte Mädchen“… und verstärken bei denen, die sich nicht für die männliche Art des Kämpfens erwärmen können, das Gefühl der Ohnmacht.
Jene, die bereits Erfahrung mit real stattgefundenen Übergriffen haben, kommen in diesen Szenarien nicht vor und schweigen weiter. Scheinbar ist das, was sie erlebt haben, so „anders“ und wohl nur ihnen alleine passiert, die Vereinsamung, Isolierung und das Schuldgefühl, das Täter (und – siehe oben - das soziale Umfeld) gut nährten, schreitet voran.
Einige Fakten
- Sexuelle Übergriffe auf Mädchen haben absolut nichts mit sexueller Lust des Täters zu tun, sondern mit einem Bedürfnis des Täters, Macht auszuüben. Sexualität ist nur das Mittel, das zur Machtausübung dient. Diese Taten haben tiefgreifende Folgen. Der Täter ist für seine Tat verantwortlich, nicht das Mädchen!
- Übergriffe auf Mädchen finden zu mehr als 2/3 im nahen Verwandten und Bekanntenkreis der Mädchen statt
- Ein Übergriff beginnt mit Blicken (wenn mich jemand so ansieht, dass es mir unangenehm ist, ist das ein Übergriff), mit „kleinen“, „zufälligen“, „unabsichtlichen“, „ungewollten“ Berührungen. Damit testen die Täter, wie weit sich das Opfer einschüchtern lässt.
- Gefühle von Mädchen werden abgewertet: „Das bildest du dir nur ein“, „Alle mögen das“.
- Alles, was die Würde eines Menschen beeinträchtigt, ist Gewalt.
Möglichkeiten
Mädchen, die eine Kultur des eigenständigen, eigenverantwortlichen und respektvollen Umgangs erfahren und erlernen durften, die sich ihres Wertes als Person sicher sind und die bei Übergriffen auf ihre Integrität vielfältige Handlungsmöglichkeiten haben, sind sicherer, auch gegenüber sexualisierten Übergriffen. Seit 25 Jahren leiten Trainerinnen daher Kurse zum Thema Selbstbewusstsein Selbstbehauptung Selbstverteidigung nach der Methode drehungen für Mädchen und Frauen.
Ziel von drehungen ist es, beim Ausstieg aus der Opferrolle zu helfen, bzw. dazu beizutragen, dass Mädchen und Frauen sich erst gar nicht darein fügen und stattdessen an einer Kultur des eigenständigen, freien, verantwortungsvollen kommunikativen Handelns mitwirken.
drehungen wurde von Frauen für Mädchen und Frauen entwickelt und wird von professionell ausgebildeten Trainerinnen unterrichtet. Ihre Besonderheit besteht darin, auf den vorhandenen Potentialen aufzubauen. Die Stärkung der eigenen Persönlichkeit im Umgang mit alltäglichen Konflikten, Grenzüberschreitungen und Gewaltsituationen steht im Mittelpunkt. In Form von Rollenspielen werden unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten bei alltäglichen und besonderen Grenzverletzungen geübt. Während des Kurses erlernen die Teilnehmerinnen auch Schutz-, Abwehr- und Befreiungs-Techniken und trainieren diese in der Gruppe.
drehungen arbeitet daran, alte, einschränkende Muster zu erkennen, loszulassen und neue, lustvolle, selbstbestimmte Handlungsweisen zu erschließen. Aussteigen aus dem Reagieren, stattdessen selbst gestalterisch aktiv sein!
Es braucht eine neue Kultur des achtsamen Umgangs unter Menschen. An dieser wollen wir mitarbeiten, um Gewalt Einhalt zu gebieten und eine wirklich lebenswerte Umwelt zu gestalten.
Für das Mädchenzentrum Klagenfurt
Andrea Hochegger, Sozialpädagogin, drehungen-AusbildungsTrainerin, Feldenkrais-Lehrerin, bones for life-AusbildungsTrainerin, seit 1984 in der Kinder-, Jugend-und Erwachsenenbildung tätig.
Literatur
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[1] Heiliger, Anita: Männergewalt gegen Frauen beenden. Opladen , 2000