THEMEN 2014
Gewalt ist kein Konflikt

Josef Hölzl, MSc
Expertenstimme
Josef Hölzl, MSc
Wenn in der Familie, in der Paarbeziehung Gewalt geschieht, wird sehr schnell händeringend nach den Ursachen und Erklärungen gesucht. Eine Erklärung ist, dass Gewalt am Ende einer Konfliktspirale steht. Dabei haben die Männer – meist sind es Männer - in der Regel ein starkes Bedürfnis, ihr Leben und ihre Beziehungskonflikte ohne Gewalt zu lösen. Gleichzeitig unternehmen sie oftmals nichts um aus dem Gewaltkreislauf auszusteigen.
Gewalt - wie Beziehungsgewalt - wird überwiegend mit desolatem Umfeld, schwieriger Kindheit oder psychischer Krankheit, Alkoholkonsum und Konfliktunfähigkeit der Täter erklärt.
Gewalt ist weder ein biologisches Phänomen, noch eine Krankheit, sondern ein Verhalten, welches zu 90% von Männern ausgeübt wird, hat also eine geschlechtsspezifische Komponente (Gewalt an Kindern wird auch von Frauen ausgeübt).
Gewalt besteht aus Denkmustern, Einstellungen und wird vor allem durch Handlungen sichtbar und ist kein Zeichen von Stärke.
Definition von Gewalt
Oftmals werden die Begriffe Gewalt, Aggression und Konflikt in einem Satz verwendet und vermischt. Nicht, dass Abwertung, Diffamierungen, Beschimpfungen und andere Grenzverletzungen nicht auch schlimm sind, aber sie mit dem Gewaltbegriff zu vermischen, erschwert die Übernahme der Verantwortung.
„Gewalt“ meint jede Verletzung der körperlichen Integrität einer Person durch andere. „Gewalt“ bezieht über körperliche Gewalthandlungen hinaus auch Formen psychischer Gewalt mit ein, insoweit diese von physischer Gewalt begleitet sind oder auf deren Androhung beruhen.
Noch vereinfachter: Gewalt ist jede Form körperlicher Beeinträchtigung und ihre Androhung (vgl. Lempert 1998).
Konflikteskalation und Gewalt …
… zwei verschiedene Verhaltensweisen – zwei Verantwortlichkeiten.
Es ist notwendig, zwischen Konflikteskalation und der Anwendung von Gewalt zu differenzieren. Um dies anschaulicher zu gestalten, ist es hilfreich den Aspekt der Verantwortungsabgabe bei Tätern genauer zu beleuchten:
Es ist dem Täter unerklärlich, wie es dazu gekommen ist. Er versteht nicht, wie er seine Frau schlagen kann, denn das wollte er nie tun. Also fängt er an, nach Ursachen zu suchen. Und er sucht den Grund nicht bei sich, sondern beginnt beim Opfer und bei den Umständen. In dieser Phase gibt der Täter die Verantwortung ab - und das mit großem Nachdruck und viel Raffinesse.
„Was hat sie getan, dass es so weit gekommen ist?“ – und er wird etwas finden: „Sie hat mich provoziert“, „sie hört nicht auf zum Streiten“, „der andere hat begonnen“, „die verbale Demütigung und Abwertung des anderen ist mindestens genauso schlimm“ – oder „ich bin einfach ausgerastet“, „ich mache das nur, wenn ich getrunken habe“ usw.
Männer verwechseln etwas: Sie meinen, weil das Opfer dazu beigetragen hat, dass der Konflikt eskaliert ist, ist es auch für die Gewalttat verantwortlich. Das gilt es auseinanderzuhalten. Beide tragen die Verantwortung dafür, dass der Konflikt eskaliert ist, für die Gewalttat ist nur der Täter verantwortlich.
Von der Ohnmacht zur Selbstverantwortung und Handlungskompetenz
Ein Mann der nicht alles im Griff hat, denkt von sich, er ist kein richtiger Kerl, denn Durchsetzungsvermögen wird als Ausdruck von „richtiger“ Männlichkeit erachtet und Männer machen die Erfahrung, dass es real Situationen gibt, die sie ganz und gar nicht im Griff haben.
In Konfliktsituationen kommen dann manche Männer in einen gefährlichen Gefühlszustand, sie finden keine Argumente, fühlen sich hilflos und haben das subjektive Gefühl, nichts mehr machen zu können. Durch das Zuschlagen wird dieser unerträgliche Gefühlszustand beendet, sozusagen „weggeschlagen“, dem Menschen „übergeben“, der ihnen nahe steht (vgl. Oelemann, Lempert 1998).
Merkt ein Mann, dass er in Gefahr ist, gewalttätig zu werden, ist es hilfreich, wenn er den Ort verlässt. Wartet er zu lange, kann er möglicherweise die Gewalt nicht mehr stoppen und subjektiv hat er den Eindruck: es ist ihm passiert, er konnte gar nicht anders. Wenn der Mann weggeht, ist es wichtig, dass er seiner Frau sagt: 1. Dass er jetzt geht, 2. Wohin er geht, 3. Wann er wiederkommt (vergl. Karbiner, 2011, S. 100f).
Dadurch soll verhindert werden, dass er wutentbrannt verschwindet, die Partnerin im ungewissen zurücklässt und dadurch weiter eskaliert. Günstig ist es, das in einer ruhigen Stunde (siehe Pkt. 6: „Schmiede das Eisen, wenn es kalt ist“) zu sagen.
Professionelle Hilfe bei Beziehungsgewalt
Bei Beziehungsgewalt ist es sehr sinnvoll, Betroffenen professionelle Hilfe zu empfehlen.
In einer Beratung (oder Therapie) werden Männer, die Gewalt ausgeübt haben, mit der Tat konfrontiert und lernen, Verantwortung für ihr Verhalten zu übernehmen. Sie lernen außerdem, sich besser wahrzunehmen, Gefühle und Bedürfnisse zuzulassen, sich auszudrücken sowie sich gewaltfrei und angemessen durchzusetzen (vgl. Karbiner, 2011, S. 100f).
Wenn Alkohol im Spiel ist, dann gilt es, zuerst dieses Thema zu behandeln und in den Griff zu bekommen. Alkohol ist keine Entschuldigung und wenn jemand weiß, dass er sich im alkoholisierten Zustand nicht im Griff haben wird, darf er nichts trinken, bzw. mit der Entscheidung zum Alkohol nimmt er Gewalt in Kauf.
Ausstieg aus dem Gewaltkreislauf
Die Sofortmaßnahmen zum Opferschutz
Erste Priorität ist: mit Betroffenen einen sog. Notfallplan zu entwickeln, was kann er tun, um weitere Gewalthandlungen zu vermeiden und vor allem, wie kann er das machen. Denn viele Männer wollen tatsächlich nicht mehr schlagen aber das „Nicht Wollen“ reicht nicht aus. Sie brauchen ein Handwerkszeug, damit sie im Falle einer akuten Konfliktsituation erst einmal nicht schlagen. Das ist noch keine nachhaltige Lösung, aber es ist alles sinnvoller, als wieder zu schlagen – z.B.: auch gegen den Willen der Partnerin den Konflikt vorzeitig zu verlassen, eine „Stopptafel“ bei sich einrichten, wenn wieder „so eine Situation auftritt“ – schon vorher Alternative Handlungsstrategien planen, denn als Sofortmaßnahme ist vieles erlaubt, nur nicht wieder schlagen!
Von der Ausrede zur Verantwortung
Passivformulierungen sofort und immer korrigieren (statt „das ist mir passiert“ lautet die Formulierung "das habe ich getan“, statt „das war der Alkohol“ heißt es "ich habe mich entschieden zu trinken“, statt „sie hat mich so provoziert und ich konnte nicht anders“ gilt „sie hat einen Streit begonnen und ich habe ihn gewaltsam beendet“ bzw. „ich habe anstatt zu streiten geschlagen“,…
Von der Ohnmacht zur Selbstverantwortung und Handlungskompetenz
Ein Mann, der nicht alles im Griff hat, denkt von sich, er ist kein richtiger Kerl - Durchsetzungsvermögen ist ein Ausdruck von „richtiger“ Männlichkeit: D.h. , Männer unterstützen in dem Sinn: Es ist sinnvoll, dass ein Mann handlungsfähig bleibt, wieder Gestaltungsspielraum bekommt, dass Männer (gerade im Beziehungsgeschehen) ihre Anliegen einbringen können und auch dafür eintreten allerdings mit dem Zusatz: ohne dabei die Grenzen anderer und die eigenen zu verletzen.
Bei Beziehungsgewalt ist es sehr sinnvoll, Betroffenen professionelle Hilfe zu empfehlen. Männer (manchmal auch Frauen), die Gewalt ausgeübt haben, können in einer Beratung lernen:
- den Gewaltkreislauf zu verstehen: wie funktioniert dies bei ihm?
- wie er es dazu kommen lässt, dass er in gewissen Situation gewalttätig wird/reagiert?
- wie er die Dynamik unterbrechen kann und welche Maßnahmen und Ressourcen ihm hierfür zur Verfügung stehen?
- wie er aus einem für ihn (und vor allem für seine Partnerin) gefährlichen Konflikt auszusteigen kann, um nicht wieder zu schlagen.
Der Berater wird bestätigen, dass Schwierigkeiten und Konflikte in einer Beziehung etwas ganz Normales sind. Es geht nicht darum sie zu meiden, sondern sie zu meistern und das braucht Übung.
Weitere (Lern)Schritte werden daher sein:
- Das Lernen, wie er bestimmter für sich einstehen und seiner Partnerin ein erwachsenes, streitbares Gegenüber werden kann.
- Das Erkennen, dass Männlichkeit viel breiter und vor allem sehr individuell definierbar ist (Männer schlagen auch deshalb, weil sie gewisse Erfahrungen, wie Ohnmacht, etwas nicht mehr im Griff haben, als äußerst unmännlich definieren).
- Das Wahrnehmen von angenehmen und unangenehmen/schwierigen Gefühlen - und, dass uns das lebendig macht und jedem Menschen ganz selbstverständlich eigen ist. Gefühle wie gelegentliche Ohnmacht, Hilflosigkeit und Ängste nicht abwehren oder als unmännlich bewerten zu müssen. Oder anders formuliert: mit “unangenehmen, unmännlichen” Gefühlen wie Ohnmacht, Hilflosigkeit, Leere, Handlungsunfähigkeit, Angst.... konfrontiert zu werden und diese als normale menschliche Gefühle annehmen lernen.
- Das Wahrnehmen/Bewusstwerden der eigenen Grenzen und damit der Respekt vor den Grenzen der anderen.
Josef Hölzl, MSc (Linz), Dipl. Ehe-Familien- und Lebensberater, Gewaltberater/Gewaltpädagoge, Tätertherapie i. A., Leiter des Fachschwerpunktes gewaltfrei.BEZIEHUNGLEBEN, Lehrtätigkeit an der Fachhochschule für Sozialarbeit
Literatur
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[1] Jellouschek, H.: Vom Fischer und seiner Frau. Wie man besser mit den Wünschen seiner Frau umgeht. Stuttgart: Kreuz Verlag, 1995
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[2] Karbiner, R.: Betriebsanleitung für den Mann. Warum das starke Geschlecht nicht stark sein muss. Freya Verlag KG, 2011
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[3] Koschorke, M.: Wie sie mit ihrem Partner glücklich werden, ohne ihn zu ändern! Führerschein für Paare. Freiburg im Breisgau: Kreuzverlag, 2011
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[4] Männer gegen Männer-Gewalt (Hrsg.): Handbuch der Gewaltberatung. OLE – Verlag, Hamburg, 2002
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[5] Nuber, U.: Ignorieren, abwarten, argumentieren. Wie Männer dafür sorgen, dass alles so bleibt, wie sie es wollen. In: Psychologie Heute, Juliausgabe, 2009
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[6] Oelemann, B., Lempert, J.: „...dann habe ich zugeschlagen“ Gewalt gegen Frauen. Auswege aus einem fatalen Kreislauf. München: dtv, 1998
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[7] Oelemann, B., Lempert, J.: Endlich Selbstbewusst und stark. Gewaltpädagogik nach dem Hamburger Modell – ein Lernbrief. Hamburg: OLE-Verlag, 2002
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[8] Retzer, A.: Lob der Vernunftehe. Eine Streitschrift für mehr Realismus in der Liebe. Frankfurt am Main: S. Fischer, 2009
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[9] Willi, J.: Psychologie der Liebe. Persönliche Entwicklungen durch Partnerbeziehungen. Hamburg. Rowohlt, 2004