THEMEN 2014
Empowerment mit muslimischen Mädchen

Mag.a Renate Tanzberger
Expertinnenstimme
Mag.a Renate Tanzberger
Als ich bei der letzten Nationalratswahl mein Wahllokal, eine Schule im 12. Wiener Gemeindebezirk betrat, begrüßte mich eine junge Frau mit Kopftuch und wies mir den Weg zu meiner Wahlkabine. Jung – muslimisch – weiblich und aktiv ... das ist kein Widerspruch. Wer allerdings diverse Printmedien liest, könnte ein gegenteiliges Bild gewinnen. Nur all zu oft werden muslimische Mädchen/junge Frauen in Verbindung gebracht mit einem Zwang, ein Kopftuch zu tragen, mit Unterdrückung, mit Zwangsverheiratung, Ehrenmord,...
Ich will nicht in Abrede stellen, dass es all dies gibt und, dass im Namen von Religion (in diesem Fall des Islams) Gewalt gegen Mädchen/Frauen passiert, aber mir ist es wichtig, dem sehr einseitigen Bild ein vielseitigeres gegenüber zu stellen. Warum mir dies ein Anliegen ist? Weil ich im Rahmen meiner Tätigkeit im Verein EfEU, einem Verein, der sich mit Bildung und Gender beschäftigt, mit muslimischen Mädchen arbeiten durfte und von der Vielfalt, die mir dabei begegnete, beeindruckt bin. Und, weil mir immer wieder schmerzhaft bewusst ist, wie schwer es für heranwachsende Mädchen/Frauen sein muss, wenn sie nicht als Personen wahrgenommen werden, sondern mit Zuschreibungen konfrontiert und teilweise Angriffen ausgesetzt sind, nur weil sie – beispielsweise – ein Kopftuch tragen und damit als Muslima erkennbar sind.
Projekte zum Empowerment muslimischer Mädchen/junger Frauen
Ich werde anschließend drei Projekte vorstellen, die der Verein EfEU im Rahmen der Plattform gegen die Gewalt in der Familie umsetzen konnte und die das Ziel hatten, zum Empowerment muslimischer Mädchen/junger Frauen beizutragen, indem ihnen Raum gegeben und ihre Stimme gehört wurde.
Workshopreihe "Kopftuchexperimente"
2009 konzipierten wir eine Workshopreihe mit dem Titel "Kopftuchexperimente". Damit sollten junge muslimische Frauen die Möglichkeit bekommen, auszudrücken, welche Bedeutung das Kopftuch, das von so vielen Seiten vereinnahmt wird, für sie hat. Die Workshops wurden von Studierenden der Akademie der Bildenden Künste und der Universität für angewandte Kunst geleitet und von 25 muslimischen Mädchen/jungen Frauen besucht. Nach einer Vorstellrunde schrieben die Teilnehmerinnen und die Studierenden Assoziationen zum Kopftuch auf Zettel und diskutierten die Ergebnisse.
Anschließend stellten die Studierenden verschiedene Methoden vor (Siebdruck, sprayen, nähen, Buttons machen,...), um die mitgebrachten Tücher künstlerisch-kreativ zu bearbeiten. Das Überlegen von Slogans, die die Teilnehmerinnen auf die Kopftücher bringen sollten und das Gestalten der Tücher machten den jungen Frauen sichtbar Spaß. Slogans, die so auf die Tücher kamen, waren u.a.: "Don't panic – I am islamic", "Ich liebe Fußball", "Values inside", "Mein Kopf gehört mir", "Ich denke, also bin ich". Aus den vielen Fotos, die während der Workshops entstanden waren, wählten wir vom Verein EfEU fünf Motive aus, um daraus Freecards herzustellen und aus weiteren Motiven ließen wir ein Plakat gestalten.
"Ein herzliches Dankeschön, dass Sie uns ermöglicht haben so einen tollen Tag (bzw. solche tolle Tage) zu erleben :) ... so viel ich mitbekommen habe von meinen Freundinnen, waren alle Feedbacks über diesen Workshop sehr positiv :) also nochmals ein Dankeschön, dass Sie uns – also den Kopftuchtragenden – das Wort gegeben haben, die Möglichkeit gegeben haben, selber etwas über das Kopftuch zu sagen..."– so lautete die Mail einer Workshopteilnehmerin.
Die Tücher wurden 2011 im Rahmen einer Ausstellung einer größeren Öffentlichkeit präsentiert.
Videos zum Thema Beziehungen von islamischen Schülerinnen
2012 luden wir im Rahmen eines Projekts "CommUnit(y) – Zur Rolle von Gemeinschaften im Leben von Jugendlichen" eine Klasse der Islamischen Fachschule für Soziale Berufe in Wien ein, Videos zum Thema Beziehungen zu drehen. Die Deutschlehrerin sowie 13 Schülerinnen im Alter zwischen 16 und 19 Jahren erklärten sich bereit, mitzumachen. Geleitet wurde der Workshop von einer Mitarbeiterin des Medienzentrums Wien und von mir. Die Schülerinnen wählten aus Geschichtsanfängen aus, die ich erstellt hatte und entwickelten daraus zwei Geschichten. Dem Film, der sich mit häuslicher Gewalt und Ungerechtigkeiten im Job beschäftigte, gaben die Mädchen den Titel "Was lohnt sich?", und jenen Film, der sich mit Solidarität und Konflikten zwischen Mädchen beschäftigte, wobei die Geschichte aus der Perspektive der Schülerinnen 50 Jahre später erzählt wurde, nannten sie "Wie die Zeit vergeht".
Unser Ziel war, dass sich die Schülerinnen lustvoll mit Fragen wie: "Welche Familienbilder haben wir?", "Welche Unterstützung brauchen wir in schwierigen Beziehungen?", "Wo erleben wir Gemeinschaft, Beziehung, Freundschaft als hilfreich und wann als beschränkend oder gewalttätig?" beschäftigen. Im Film "Was lohnt sich?" stellten die Schülerinnen im Abspann zwei mögliche Filmenden vor: der Freund, der seine Freundin geschlagen hatte, entschuldigt sich bei dieser und schlägt sie nie wieder bzw. die Freundin trennt sich von ihm als er wieder gewalttätig wird. Dass das Projekt nicht nur zu einer Kompetenzerweiterung und zur Stärkung der Mädchen beitrug, indem sie ein Drehbuch schrieben, das Storyboard zeichneten, Aufnahmeleitung machten, selbst spielten, die Kamera führten, den Ton aufnahmen und den Film schnitten, zeigte sich auch darin, dass – wie die am Projekt beteiligte Deutschlehrerin erzählte – "bei der Lektüre von 'Kabale und Liebe' immer wieder auf die Filme Bezug genommen wurde und die Mädchen weiter über ihre Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf ihr Leben nachdachten."
Tagung "Was brauchen muslimische Schülerinnen für ein gelingendes Leben?"
2013 organisierten wir an der Technischen Universität Wien die Tagung "Was brauchen muslimische Schülerinnen für ein gelingendes Leben?". Ziel der Tagung war es, Personen, die mit muslimischen Schülerinnen arbeiten, Anregungen zu geben, damit diese muslimische Mädchen in all ihrer Vielfalt wahrnehmen und sie auf ihrem Weg zu einem gelingenden Leben noch besser unterstützen können. Neben einer Podiumsdiskussion mit muslimischen jungen Frauen über unterstützende und behindernde Faktoren für ein gelingendes Leben gab es Workshops, die sich mit den Lebenswelten muslimischer Mädchen auseinandersetzten.
Ein Marktplatz, auf dem Vertreter_innen von (nicht nur muslimischen) Organisationen, ihre Angebote für Schulen und/oder muslimische Schülerinnen, vorstellten, bot die Möglichkeit der Vernetzung und des Austauschs. Die Bandbreite reichte von Angeboten im interkulturellen Bereich (z.B. der Büchereien Wiens, des Mädchenzentrums Peppa oder eines Mentoringprojekts) über Elternarbeit (z.B. durch das Islamische Beratungsnetzwerk für Jugend und Familie) zu ausschließlichen Angeboten für muslimische Mädchen (bei den Jungen Musliminnen Österreich) oder aber gemischten Angeboten (Mädchencafe Flash, Verein Sprungbrett,...).
Die Dokumentation der Tagung inklusive einer umfangreichen Literatur- und Medienliste findet sich weiter unten bei "Literatur und Links" angeführt. Ein Hineinschauen lohnt sich auf jeden Fall, denn auch dort zeigt sich ein vielleicht nicht allen bekanntes vielfältiges Bild muslimischen Lebens. Kennen Sie Jugendbücher mit muslimischen Mädchen als Handlungsträgerinnen? Oder die tollen Fotos, die Asma Aida von muslimischen Frauen gemacht hat? Oder "Burka Avenger", die gegen das Böse kämpft? Oder die etwas andere österreichische Bundeshymne gerappt von der 19jährige Nurdan Simsek, die beim Creative Muslim Contest 2011 in der Kategorie Musik gewann? Oder die Comics einer Berliner Muslima? Ja, all das gibt es auch und ich halte es für wichtig, diese Aspekte muslimischen Lebens sichtbar zu machen.
Empowerment als Ziel
"Empowerment" - auf eine kurze Formel gebracht - ist das Anstiften zur (Wieder-) Aneignung von Selbstbestimmung über die Umstände des eigenen Lebens."
(aus: www.empowerment.de/grundlagen)
Mit den oben genannten Projekten haben wir das Ziel "Empowerment mit muslimischen Mädchen" verfolgt. Die Umstände des eigenen Lebens hängen jedoch auch ganz stark von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Mit der Sichtbarmachung der Vielfalt muslimischer Lebenswelten hoffen wir, dazu beizutragen, dass muslimische Mädchen in all ihrer Unterschiedlichkeit wahrgenommen und nicht auf die Rolle der Unterdrückten reduziert werden.
Als ich im Tagungsband "Unsichtbares sichtbar machen" (hg. von Armin Berger und Susi Zoller-Mathies, Innsbruck 2013) ein Zitat von Ruth Kronsteiner las, das da lautete "Wichtig für ein stabiles Innen ist ein erkennendes Außen" verlas ich mich und las stattdessen "Wichtig für ein stabiles Innen ist ein anerkennendes Außen". Um muslimische Mädchen zu stärken bedarf es meines Erachtens eines Wissens um die (höchst unterschiedlichen) Lebenswelten muslimischer Mädchen, eines Wahrnehmens dieser, eines Anerkennens/Wertschätzens muslimischer Mädchen und eines Auseinandersetzens mit deren Lebenswelten. Wer sich darauf einlässt, wird viel Spannendes erleben.
Mag.a Renate Tanzberger ist Obfrau des Vereins zur Erarbeitung feministischer Erziehungs- und Unterrichtsmodelle und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema "Gender und Bildung", sie ist u.a. Fortbildnerin und Autorin. Derzeit ist sie auch Mentorin im Mentoringprogramm der Muslimischen Jugend Österreichs und begeistert von den Kompetenzen ihrer Mentee.
Literatur
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[1] EfEU: "Was brauchen muslimische Mädchen für ein gelingendes Leben". 2014PDF
Dokumentation der Tagung
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[2] Tanzberger Renate: "Wenn muslimische Schülerinnen einen Film drehen ...". In: EfEU u.a. (Hg.), "Wir passen zusammen." Zur Rolle von Gemeinschaften und Beziehungsformen im Leben von Jugendlichen, Wien, u.a. (S. 98-105), 2013PDF
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[3] Verein EfEU: Hintergrund zu den Freecards "Kopftuchexperimente".PDF
Projektbeschreibung
Links
http://efeu.or.at/seiten/mainrez_freecard.htm
Plakat und Freecards, die im Projekt "Kopftuchexperimente" entstanden sind.