THEMEN 2015
Intersektionalität und intersektionale Gewaltprävention in der Jugendarbeit

Annemarie Schweighofer-Brauer
Expertinnenstimme
Dr.in Annemarie Schweighofer-Brauer
Was ist Intersektionalität?
Intersektionalität ist eine herrschaftskritische Perspektive, die darauf achtet, wie konkrete Menschen von verschiedenen Diskriminierungen (z.B. aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, einer Behinderung, ihres Alters, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer ökonomischen Lage …) betroffen sind; also wie diese zusammen eine spezifische Diskriminierungssituation ergeben. Davon ausgehend wird analysiert, mit welchen gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Strukturen diese Situation verbunden ist und durch welche Ideologien, medial vermittelten Bildern, ständig wiederholten Stereotypen sie reproduziert wird.
Die Soziale Arbeit und insbesondere auch die Jugendarbeit ist in ihrer Aufgabenstellung mit gesellschaftlicher Vielfalt, mit materieller Ungleichheit und mit marginalisierten Menschen/-gruppen beschäftigt sowie mit der Herstellung gerechterer gesellschaftlicher Verhältnisse. Von daher liegt es nahe diesbezüglich zu überlegen, was eine intersektionale Perspektive hier bedeutet und was sie bringen kann.
„Auch wenn gesellschaftliche Vielfalt und Umgang mit Verschiedenheit für die Soziale Arbeit nichts prinzipiell Neues darstellt, sondern Soziale Arbeit schon immer kulturelle Übersetzungsarbeit und Vermittlungsarbeit mit dem Ziel der Herstellung gerechterer Verhältnisse leistete, so war der Blick doch in erster Linie auf materielle Ungleichheit sowie auf Differenzen von Normalität und Abweichung gelegt. Intersektionalität ist im Kontext des Feldes der Jugendhilfe insofern besonders bedeutsam, weil es dabei darum geht, gesellschaftliche Ausschlussprozesse auch in ihren Überschneidungen und ihrer Relevanz für die Jugendhilfe zu fokussieren.“ (Langsdorff 2014, S. 9/10)
Intersektionalität, Diversität und Inklusion
Im Zusammenhang mit der Benennung, Analyse und dem praktischen Umgang mit Unterschieden zwischen Menschen sind neben Intersektionalität u.a. auch die Begriffe Diversität (Diversity) und Inklusion im Umlauf.
Worin unterscheidet sich Intersektionalität von Diversität?
Intersektionalität und Diversität nehmen auf soziale Zuweisungen (Kategorien) Bezug, während Intersektionalität in Richtung Dekonstruktion dieser Kategorien zielt bzw. diese im Kontext von gesellschaftlicher Hierarchisierung, Marginalisierung und Diskriminierung analysiert, so wendet Diversität das Hauptaugenmerk auf Fähigkeiten, Kompetenzen und Ressourcen, die sich aus der Sozialisation in unterschiedlichen Lebensbezügen ergeben.
Diversität
Der Begriff der Diversität, der seit den 1990er-Jahren in strategischen Konzepten in verschiedenen Zusammenhängen verwendet wird, räumt den mit Unterschiedlichkeit verbundenen Ressourcen größere Aufmerksamkeit ein, als der damit verbundenen Diskriminierung.
In wirtschaftlichen Zusammenhängen zielen Diversity-Strategien auf die Nutzung von Unterschiedlichkeit als mehrwertbildender Ressource. Verschiedenheit wird hier nicht als zugeschriebene Verschiedenheit problematisiert, sondern als Potential (Leistungsheterogenität) vorausgesetzt und ökonomisch verwertet. Machtverhältnisse werden dabei nicht in Frage gestellt.
Elisabeth Holzleithner (2008, S. 14/15) definiert Gender & Diversity Management als eine marktbasierte Perspektive, neoliberalismuskompatibel, als ein „Wechselspiel“, in dem „sich betriebliches Management und neoliberale Wirtschaftspolitik“ ergänzen. Verschiedenheit ist hier eine Ressource für die „Optimierung der Performance des Unternehmens am Markt“; soll das Arbeitskräftereservoir erweitern und neue Kund_innensegmente ansprechen (vgl. auch Frühauf 2014, S. 16: „Die gegenwärtige spätkapitalistische Formation wird von einigen gar als wichtigster Förderer von Differenzen beschrieben (Soiland 2009, S. 17)“. Durch die gezielte Einbindung von Menschen jeglichen Alters, Geschlechts, sexueller Orientierung, jeglicher Herkunft und kulturellen oder religiösen Performance soll das weltweite Arbeitskräftereservoire erweitert werden (Stuve o.J., S. 1-2)
Im Kontext der diversitätsbewussten Sozialen Arbeit wird Diversität allerdings auch politisch thematisiert im Kontext anti-diskriminierender Arbeit (Fleischer/Lorenz 2012, S. 1-2).
Aus der Verbindung antirassistischer Bildungsansätze mit Ansätzen der interkulturellen Öffnung sowie des Gender Mainstreaming entwickelt Rudolf Leiprecht, so führt Olaf Stuve aus, die Managing Diversity Strategie.
„Allerdings verbleibt auch dieser Ansatz bei den Kategorien. Der Übergang zu der Analyse der Verhältnisse, die die Kategorien hervorbringen und damit Wege zur ihrer Auflösung aufweisen, ist der Übergang zur Intersektionalität.“ (Stuve o.J., S. 4)
Intersektionalität
Intersektionalität ist eine macht-, herrschafts-, ausbeutungs- und kapitalismuskritische Perspektive und eine analytische Sensibilität, die den Zusammenhang von Gleichheit und Ungleichheit in Bezug auf gesellschaftliche Machtverhältnisse reflektiert (vgl. Cho et al. 2013). Die intersektionalen Kategorien werden nicht als gegebene Unterschiede zwischen Menschen behandelt, also um Menschen einzuordnen bzw. zu beschreiben. Sie werden in ihren Entstehungsbedingungen im Kontext der Formierung von Herrschaftsbezügen analysiert (Stuve o.J., S. 5). Die jeweilige Lage von Menschen in Macht- bzw. Herrschaftsgefügen ist gekennzeichnet von Diskriminierungen/Privilegierungen. Dies wird u.a. mithilfe von Stereotypen, polarisierenden Zuschreibungen, Levels, eindeutigen Definitionen und Bildern gerechtfertigt.
Der Begriff „Intersektion“ – Kreuzung, Überschneidung – bezeichnet Situationen, in denen sich Diskriminierungen überschneiden, zusammenwirken und in Wechselwirkung kommen. Intersektionalität verbindet nach Leslie McCall drei Zugänge: die anti-kategoriale Komplexität, die soziale Kategorien als Produkte von Herstellungsprozessen dekonstruiert; die intra-kategoriale Komplexität, die analytische Kategorien provisorisch verwendet, um Ungleichheitsbeziehungen innerhalb sozialer Gruppen aufzuzeigen; schließlich die inter-kategoriale Komplexität, die zwischen den beiden anderen Komplexitäten – Kategorien zurückzuweisen und Kategorien strategisch zu verwenden – angesiedelt ist. Einerseits hinterfragt letztere den Prozess, der Kategorien produziert, andererseits anerkennt sie die stabilen Beziehungen, die Kategorien zu einer bestimmten Zeit darstellen (vgl. Stuve o.J., S. 5; Fleischer/Lorenz 2012, 6/7S.; McCall 2005, S. 1773/4).
Inklusion
Inklusion kann als eine praktische Strategie verstanden werden, um den intersektional analysierten Diskriminierungsverhältnissen zu begegnen. Sie wird derzeit v.a. im Zusammenhang des gemeinsamen Unterrichts von Kindern mit und ohne Behinderungen besprochen; wird aber von einigen Expert_innen viel breiter verstanden (z.B. Serdar Yolcu in einem Lehrgang zu Cross Work, Haus der Begegnung Innsbruck, Juni 2013): Individuen brauchen für gleiche Chancen, für realisierte Gleichwertigkeit Verschiedenes, um an den diversen Vorgängen, Angeboten, Institutionen einer Gesellschaft Anteil zu haben und teilnehmen zu können. Diese Voraussetzungen zu schaffen, bedeutet Inklusion.
Analyseebenen von Intersektionalität
Intersektionale Ebenen von Diskriminierungssituationen setzen auf drei Ebenen an.
Die Ebene der sozialen Strukturen bzw. Gesellschaftsstrukturen:
Politische, ökonomische, soziale Strukturen zur kostengünstigen Reproduktion von Arbeitskraft für die globalisierte Profitmaximierungswirtschaft, Politik, Institutionen, Gesetze, Staaten.
Die Ebene der symbolischen Reproduktion der sozio-ökonomischen Verhältnisse (symbolische bzw. hegemoniale Repräsentationen):
Diskurse, Stereotypen, Ideologien; bildhafte und verbale Repräsentation (Filme, Fotos, Geschriebenes, Gesagtes …). Ideologische Rechtfertigung ungerechter Verhältnisse (dafür, dass etwa Kapitalist_innen und Manager_innen von den ökonomischen Verhältnissen profitieren, während Arbeitnehmer_innen arbeiten, aber nicht profitieren). Naturalisierende und hierarchisierende Bewertungen auf Grundlage von Differenzkategorien.
Die Ebene der individuellen Aneignung und Erfahrung – Identitätskonstruktionen:
Die Aneignung durch Individuen geht vor sich in Familien, Milieus, Gruppen (Sozialisation, Selbstsozialisation: doing gender, doing femininity, doing masculinity, doing culture, doing class usw.) – durch Verinnerlichung, Fremd- und Selbstzuschreibung. Beispielsweise die Verinnerlichung des Arbeits- und Leistungsprinzips: als Zugang zu Entlohnung, Respekt (Existenzsicherheit, Lebensberechtigung) über Arbeit (fallweise Hausarbeit) oder zumindest zuvor im Leben geleistete Arbeit (als Pensionist_in); Verinnerlichung der ständigen Drohung mit Verlust von Arbeit, Wohlstand, Existenz, Respektabilität, Eingebundensein in die gesellschaftlichen Abläufe. Intersektionale Analyse geht von den Individuen, empirisch von den Identitätskonstruktionen, Lebenschancen (wie sie handeln, was sie „wissen“, ihr Körperwissen, wie sie sich identitätsmäßig gestalten …), ihrer gesellschaftlichen Positionierung aus.
Danach wird analysiert, wie die analysierte Situation mit symbolischen Repräsentationen und ökonomisch-gesellschaftlichen Strukturen zusammenhängt bzw. wie diese Repräsentationen und Strukturen die persönliche Situation bedingen, begrenzen, ausmachen: Welche Wechselwirkungen, Wirkungen bestehen zwischen den Ideologien, Bildern, Diskursen, den gesellschaftlichen Strukturen und der individuellen Selbstkategorisierung?
Intersektionale Kategorien
In der Intersektionalitätsdiskussion bezeichnet man die Diskriminierungsdimensionen als Kategorien – Diskriminierungs-/Privilegierungskategorien.
Die Autor_innen zu Intersektionalität diskutieren nun, welche Kategorien zur Analyse von Diskriminierungsverhältnissen hilfreich sind, welche, wie viele, in welchem Verhältnis zueinander – um die Komplexität doch fassbar zu machen.
Strukturkategorien
Einige Autor_innen unterscheiden zwischen einer festgelegten Anzahl an sogenannten „Strukturkategorien“ (Kategorien auf der Ebene der sozialen Strukturen) und anzahlmäßig offenen „Identitäts- und Repräsentationskategorien“ (Kategorien auf den Ebenen der Identitätskonstruktionen und der symbolischen Repräsentation) (Langreiter/Timm – Interview mit Degele/Winker 2011, S. 15).
Vorgeschlagen werden drei oder vier Strukturkategorien: Klasse, race, Geschlecht oder Klasse, race, Geschlecht und body. Die Festlegung auf die genannten Strukturkategorien wird damit begründet, dass ungleiche Ressourcenzuteilung entlang dieser Linien verlaufe (Degele/Winker 2007, S. 6).
„Die vier Strukturkategorien beschreiben Prozesse und Verhältnisse innerhalb der kapitalistischen Akkumulationslogik. Die aus den Strukturkategorien jeweils ableitbaren Herrschaftsverhältnisse sind Klassismus für Klasse, Sexismus/Heteronormativität für Geschlecht, Rassismus für Rasse und Bodismus für Körper.“ (Degele/Winker 2007, S. 7)
Identitäts-/Repräsentationskategorien zu Geschlecht wären etwa sexuelle Orientierung und Geschlechtsorientierung (also auch Heterosexismus und Zweigeschlechtlichkeit als Normierungsregimes). Bei body wären das beispielsweise Alter, körperliches Vermögen …; bei race Ethnizität, Herkunft …; bei Klasse Armut, Bildungszugang …
Kritik an der Festlegung intersektionaler Kategorien
Eine Studie von lesMigras (Gewalt- und Mehrfachdiskriminierungserfahrungen von lb_FT* - lesbische und bisexuelle Frauen und Trans*Menschen, S. 2/3) kommt zum Ergebnis, dass sich von Mehrfachdiskriminierungen betroffene Menschen, die den entsprechenden Fragebogen ausfüllten und kommentierten, sehr kategoriekritisch äußern bzw. eigene Selbstzuschreibungen sehr differenziert ausfeilen.
„Sehr viele Teilnehmende [an der Studie; Anm. AS] stellten Kategorisierungen generell infrage und kommentierten dies, wann immer der Fragebogen dies zuließ. Wir können ein deutliches Unbehagen mit Homogenisierungen und Essentialisierungen wahrnehmen, wenn diese auch bei besonders sozial verletzlichen Gruppen paradoxerweise verstärkt zu vernehmen sind. Es scheint, als ob die stärkste kategoriekritische Position von denen eingenommen werden kann, die aufgrund von erlebten Diskriminierungserfahrungen sensibilisiert genug sind, aber gleichzeitig über genügend Ressourcen verfügen, um ein Dazwischen aushalten zu können.“ (Zusammenfassung der Ergebnisse, S. 3)
Grundelemente oder Differenzlinien statt Struktur-Kategorien
Einige Intersektionalitäts-Expert_innen gehen gegenüber einer klaren Einteilung von drei/vier Strukturkategorien und anzahloffenen Repräsentationskategorien von einer Reihe von „Grundelementen“ aus.
Helma Lutz und Norbert Wenning unterscheiden 13 Differenzlinien: Soziale Ordnungskategorien, die komplementär scheinen, aber hierarchisch funktionieren (nicht abschließend gemeint) wären: Geschlecht, Sexualität, "Rasse"/Hautfarbe, Ethnizität, Nation/Staat, Klasse, Kultur, Gesundheit, Alter, Sesshaftigkeit/Herkunft, Besitz, Nord-Süd/Ost-West und gesellschaftlicher Entwicklungsstand (Geisen 2014, S. 100).
Was leistet die intersektionale Perspektive in der Sozialen Arbeit?
Wie erwähnt, steckt die öffentliche Diskussion zu Intersektionalität noch in den Kinderschuhen (Langsdorff 2014, S. 10). Um Intersektionalität kümmert sich hauptsächlich der akademische Diskurs. Das bedeutet aber nicht, dass in der Sozialen Arbeit nicht intersektional gearbeitet wird. Klient_innen mit und in sich überschneidenen Diskriminierungslagen zu begleiten, ist ein Arbeitsauftrag von Sozialer Arbeit. Daraus entstanden Herangehensweisen der Sozialarbeit, wie etwa z.B. Streetwork oder die Parteilichkeit mit den Diskriminierten als ein wesentliches Arbeitsprinzip.
Dasselbe gilt für die Jugendarbeit in Jugendzentren, v.a. seit emanzipatorische und herrschaftskritische Bewegungen seit den 1960er Jahren auch hier Herangehens- und Arbeitsweisen veränderten.
Die Beschäftigung mit Intersektionalität geht, wie ausgeführt, auf herrschaftskritische politische Bewegungen zurück – entspringt somit einem entsprechenden Bewegungswissen, das akademisiert wurde (Wissenschaftswissen) und nun in den professionellen Kontext der Sozialen Arbeit eingeführt werden soll.
In der Sozialen Arbeit wird praktisch mit Ungleichheitsverhältnissen umgegangen, werden Veränderungsansätze entwickelt, ausprobiert und weitergeführt. So entstand etwa die Mädchenarbeit in Deutschland und Österreich in den 1970er Jahren aus der Kritik frauenbewegter Jugendarbeiterinnen an patriarchalen Machtverhältnissen bzw. aus der Betroffenheit von Mädchen und Mädchenarbeiterinnen von solchen Verhältnissen. Die Soziale Arbeit bezieht sich verschiedentlich auf kritische politische Bewegungen.
Gleichzeitig ist Soziale Arbeit auch eine wohlfahrtsstaatliche Maßnahme (Frühauf 2014, S. 24/25). Zunächst wurde im Zusammenhang mit Armengesetzgebungen die öffentliche Fürsorge geschaffen und Anfang des 20. Jh. die Soziale Arbeit als staatliche Normalisierungsinstanz (um „unangepasste“ Menschen gesellschaftlich einzupassen).
„Soziale Arbeit als ein Feld sozialer Kampf- bzw. Aushandlungszonen des Umgangs mit sozial Ausgegrenzten und als hilfebedürftig Konstruierten steht und stand in Konflikt mit den Feldern juristischer und polizeilicher Ordnungsmaßnahmen, mit medizinischer und psychologischer Diagnostik, Soziologie, Erziehungswissenschaft und normativer pädagogischer Reflexion. Felder sozialer Arbeit wären in diesem Verständnis somit weder zielgruppenorientiert noch institutionsbezogen zu definieren, wie es bislang in der Sozialen Arbeit üblich ist.“ (Giebeler/Rademacher/Schulze 2013, S. 22)
Seit den 1960er-Jahren (beeinflusst von politischen Bewegungen, die sich maßgeblich auch mit faschistischen Normierungsregimes auseinandersetzten) wurden Konzepte entwickelt und in die Jugendarbeit aufgenommen, die gesellschaftliche Dominanzverhältnisse (Generationenverhältnisse, Geschlechterverhältnisse, die Pathologisierung und Kriminalisierung unerwünschter Verhaltensweisen) kritisch reflektieren (Lamp 2014, S. 211/12). Im Konzept der Lebensweltorientierung (seit den 1980er Jahren ein Hauptkonzept in der Sozialen Arbeit) ist die Bearbeitung von Differenz mitgedacht (Lamp 2014, S. 213).
„Perspektiven der Geschlechterpädagogik, der Interkulturellen Pädagogik und der Behindertenpädagogik machen Differenz zum Ausgangspunkt, sind aber hauptsächlich einem Differenzverhältnis verpflichtet und damit nicht in der Lage, tatsächlich Wechselwirkungen oder Interdependenzen von Ungleichheit generierenden Differenzverhältnissen zu analysieren und in die pädagogische Arbeit einzubeziehen.“ (Lamp 2014, S. 213)
An dieser Stelle wird das Konzept Intersektionalität in die Soziale Arbeit eingeführt. Damit die Soziale Arbeit nicht unkritisch zur Reproduktion von Ungleichheitsverhältnissen beiträgt, gilt es, diese Verhältnisse nicht zu sehr zu individualisieren und den einzelnen Fachkräften und ihren Interaktionen mit den Adressat_innen zu überantworten. Bei intersektionaler Fallarbeit muss genau darauf geachtet werden: Es kann nicht darum gehen, die Erfahrungswelten multipel Benachteiligter zu erkunden, Adressant_innen genau zu beschreiben, um sie potenziell sozialarbeiterisch bearbeitbar und „regierbar“ zu machen (Frühauf 2014, S. 28/29). Wie bereits dargestellt, versteht sich Intersektionalität als ein herrschaftskritisches Konzept.
Im Feld der Sozialen Arbeit geht es um die Behebung, Abmilderung von Folgen von Diskriminierungsverhältnissen. Veränderungsprozesse des Sozialen werden nur langsam in der Gesetzgebung etc. reflektiert (z.B. Kindermigration). Sozialarbeiter_innen sind daher Agent_innen des sozialen Umbruchs an der Basis des Geschehens. Sie können Veränderungsprozesse aktiv begleiten.
„Dazu benötigt es allerdings der durch Gesellschaftstheorie und Forschungsverfahren ausgebildeten Wahrnehmungs- und Analysefähigkeit sowie die daran anknüpfende Fähigkeit zur professionellen Handlung.“ (Giebeler/Rademacher/Schulze 2013, S. 26)
An die Jugendhilfe stellt sich von daher die Anforderung:
„(…) dass Fachkräfte Sozialer Arbeit zunächst ein Verständnis dafür entwickeln müssen, inwiefern die Entstehung sozialer Konflikte mit soziostrukturellen Bedingungen sowie mit symbolischen Repräsentationen zusammenhängen.“ (Langsdorff 2014, S. 47)
Eine intersektionale Perspektive hilft dabei, entsprechende Wahrnehmungen zu verstehen bzw. sie ermöglicht solche Wahrnehmungen überhaupt erst. Sie wäre eine wahrnehmungsleitende Perspektive. Die intersektionale Perspektive wäre einzubeziehen in Arbeitskonzepte, in pädagogische Konzepte von Einrichtungen: in Grundlagen für die Ausrichtung der Arbeit sowie in Handlungsrichtlinien für Interventionen und Impulssetzungen.
„Unabhängig davon, ob wir über die Beratung von Opfern von Diskriminierung und Gewalt, die Durchführung eines Bildungsprojekts zu rassistischer Diskriminierung in der Schule, über die Arbeit in einem Jugendzentrum, als Streetworker oder in einem Mentoring-Programm reden – eine intersektionale Perspektive soll es möglich machen, den jeweiligen Arbeitsansatz so zu entwickeln, dass die komplexen Lebenswirklichkeiten der Teilnehmenden berücksichtigt werden. Intersektionale Arbeit integriert konkrete Erfahrungen ohne zu homogenisieren, festzulegen oder zu stereotypisieren (vgl. Busche/Stuve 2010).“ (Dissens e.V. 2011, S. 33)
Dr.in Annemarie Schweighofer-Brauer, Studium der Geschichte und Politikwissenschaft, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für gesellschaftswissenschaftliche Forschung, Bildung und Information (FBI), Erwachsenenbildnerin, TZI Diplom, psychologische Beraterin in Ausbildung
Literatur
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[1] Schweighofer-Brauer, Annemarie: Artikel „Intersektionalität, intersektionale Gewaltprävention in der Jugendarbeit“ In: Plattform Regionalprojekt 2014, 2014PDF
Vollständiger Artikel
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[2] Literaturliste des Artikel „Intersektionalität, intersektionale Gewaltprävention in der Jugendarbeit“ In: Schweighofer-Brauer, Annemarie , Plattform Regionalprojekt 2014PDF, 56 kB