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zusammenLeben ohne Gewalt

THEMEN 2016

Warum eigentlich ist Gewaltfreie Kommunikation gewaltfrei?

Mag. Peter Pressnitz

Mag. Peter Pressnitz

Expertenstimme

Mag. Peter Pressnitz

Die Empathie im Prozess

Der Ursprung allen Konfliktes zwischen mir und meinen Mitmenschen ist, dass ich nicht sage was ich meine, und nicht tue, was ich sage.
Martin Buber

Formen von Gewalt und ihre Ursachen:  gesellschaftliches  Phänomen und individuelle Auswirkung

Wenn ich Nachrichtensendungen höre und daraus auf den Zustand der Welt schließe, diese verschiedenen Formen von individuellem und gesellschaftlichem Leid wie Bürgerkriege, Terrorismus, Dominanzverhalten autoritärer Führer, die abweichende Meinungen am liebsten ausradieren wollen melden sich zeitweise Zweifel in mir: „Was können Menschen, die auf diesem Planeten auf ihr Weise zum Guten beitragen wollen, angesichts dieser Gewalt bewirken?“

„Der Mensch“, so der Mediziner, Psychotherapeut und Hirnforscher Joachim Bauer, befragt zur Ursache von Gewalt, „ist zu allem fähig“ [Badische Zeitung, 10.5.2011], auch wenn nach seiner wissenschaftlichen Erkenntnis die Menschenspezies biologisch grundsätzlich auf Kooperation und soziale Verständigung ausgerichtet ist.

Als ich als Trainer begann, Gewaltfreie/Wertschätzende Kommunikation weiterzugeben, war ich irritiert davon, wenn mir Menschen mitteilten, sie seien „eh ganz friedlich“. Manche hielten Gewaltfreie Kommunikation (GFK) für eine Art „Besserungsprogramm“ für gewalttätige Männer. Welche Vorstellung liegt dem zugrunde?"

Gewalt hat viele Formen und Gesichter, ob physisch oder psychisch ausgetragen. Sie kann offen oder heimlich, gegen andere oder gegen sich selbst gerichtet erscheinen oder sich als Umweltzerstörung, unterdrückende Wirtschaftsstrukturen oder einfach als Gewalt in den Familien oder am Arbeitsplatz (z.B. Mobbing) zeigen. Auch in der Alltagskommunikation sind  Formen von Gewalt zu beobachten: Bei Konflikten ob mit dem Chef, mit Kolleginnen und Kollegen oder mit der Beziehungspartnerin bzw. dem Beziehungspartner ist sie z.B. in Form von sprachlicher Abwertung, Ausgrenzung und Beschuldigung präsent.

Doch wie ist es mit der Gewalt, die wir gegen uns selbst richten, bestellt? Abgesehen von massiven Selbstbeschädigungen, beispielsweise Alkoholismus, Spielsucht oder sonstige Suchtverhalten: Wie gehen wir mit uns selbst in weniger bedrohlichen Situationen um? Können wir beispielsweise unsere inneren Stimmen, die uns antreiben, immer mehr an Leistung zu bringen, einfach so abdrehen wie einen Fernseher? Ein gutes Lebensgefühl zu haben, wenn alles läuft, wenn wir nahe kristallklaren Wassers und würziger Bergesluft einen wunderschönen Urlaub verbringen, ist kein Kunststück. Wie aber gehen wir mit unseren Unvollkommenheiten im Alltag und als schwierig empfundenen Lebenssituationen um? Können wir der ausübenden Gewalt unseres inneren Kritikers, den Selbstvorwürfen, etwas entgegenstellen?

Zur Klärung dieser Problematiken kann die Gewaltfreie Kommunikation etwas Grundlegendes und elementar Positives beisteuern. Es geht um ein Gewahrsein, das sich ausrichtet: Welcher Auslöser bewirkt welche Gedanken und Gefühle? Welche Bedürfnisse sind im Moment unerfüllt geblieben? Und (wie) kann ich mich in meinen Mangelzustand einfühlen?

Empathie – der Schlüssel zu sich selbst

Rosenberg, ursprünglich selbst Klinischer Psychologe, entwickelte die Gewaltfreie Kommunikation unter anderem auf der Basis der Klientenzentrierten Gesprächstherapie von Carl R. Rogers - mit wachsend kritischer Distanz zur klinischen Psychotherapie und deren diagnostischer Haltung zum Menschen. Er setzte die Gewaltfreie Kommunikation persönlich zur effektiven Konfliktlösung und in der Mediation in Bürgerkriegsgebieten (z.B. in Sri Lanka, am Balkan, in Uganda, in Israel und Palästina). „Im freien Feld“  mit Tätern und Opfern zu arbeiten, aus gewaltsam ausgetragenen Konflikten gegeneinander kämpfender Gruppen, seien es Straßen-Gangs oder die Polizei, den Streit zwischen seit ewigen Zeiten verfeindeten Ethnien zu schlichten, dazu braucht es eine gehörige Portion Mut. Und all diese Erfahrungen gaben Rosenberg ausreichend Gelegenheit, die Wirksamkeit seiner Methode zu prüfen.

In Betrachtung kollektiver wie individueller Gewaltsysteme nimmt Rosenberg in seiner mitfühlenden Haltung  auch auf andere Quellen, den Religionsphilosophen Martin Buber beispielsweise, Bezug. Buber wiederum vertrat die Ansicht, dass menschliche Weiterentwicklung in einer Begegnung zweier Menschen in einer „Ich-Du“ Beziehung dann geschieht, wenn sie sich dabei verletzlich und authentisch ausdrücken.[1] Gelegentlich erwähnt Rosenberg auch andere Dichter und Denker, wie den islamischen Mystiker Rumi. (Jenseits von richtig und falsch, liegt ein Ort. Dort treffen wir uns“)

Und doch sehe ich etwas speziell ‚Eigensinniges‘ darin, wenn sich Rosenberg auf Gandhi bezieht: „Gewaltfreiheit als das einfühlende Wesen, das sich wieder entfaltet, wenn die Gewalt in unseren Herzen nachlässt“. Beide, Gandhi und Rosenberg, haben den sozialen Wandel ganz konkret in ihrem Blickfeld und steuern diesen direkt an: Eine sozial ausgewogene und ökologischen Wertvorstellungen verbundene Gesellschaft ist in sich gewaltfrei!

Wie können wir von Herzen geben?

Um es mit  Rosenberg zu sagen, lauten die zwei wichtigsten Fragen der Gewaltfreien Kommunikation: „Was ist lebendig in uns?“ und “Was können wir tun, um unser Leben gegenseitig zu bereichern?“
Gewaltfrei leben bedeutet in diesem Sinn, das Mensch-Sein zu bereichern und  – was die Selbstverantwortung hervorhebt – Wissen zu verbreiten, auf dass  jeder selbst zu seinem Glücklich-Sein beitragen kann.

Die Wertschätzende Kommunikation erfordert  das Einlassen auf einen komplexen Prozess, in dem Gefühle erkannt und zugrundeliegende Bedürfnisse ausgedrückt werden. Mit anderen Worten: Bewusstheit findet statt! Die Aufmerksamkeit richtet sich auf die Gegenwart - anstatt über vergangenes Leid zu spekulieren. Die Absicht geht dahin, sich mitfühlend mit uns  und mit anderen zu verbinden.

Was Marshall Rosenberg von einem selbst bekleckerten Anzug gelernt hat

Verständnis heißt nicht einverstanden zu sein. Es dient den Bedürfnissen, nicht den Taten.
MBR

Weil Empathie in der GFK so zentral positioniert ist, will ich das Thema der Selbsteinfühlung hervorheben: das Mitgefühl kultivieren heißt, das eigene Herz angesichts von Schmerz und Kummer eines anderen verständnisvoll und zartfühlend zu öffnen. Diese Haltung macht es möglich, dass Verbundenheit entsteht. Gerade bei der Selbstempathie ist aber häufig feststellbar: Menschen empfinden wenig Mitgefühl für den eigenen Schmerz und für ihre eigene Traurigkeit.[2] Tatsächlich neigen bekümmerte Menschen dazu, ihre eigenen Schmerzen und Ängste als Fehler oder Versagen zu bewerten und sich selbst Mitgefühl zu verweigern.

Häufig haben solche unnachsichtige Haltungen sich selbst gegenüber mit verinnerlichten, unbewussten Glaubenssätzen und Einflüssen aus frühen Lebensjahren, Adoleszenz und Schule zu tun. Auch wenn den damaligen Bezugspersonen, Eltern, Lehrern gute Absicht unterstellt werden kann, wandten sie häufig –  wie bei sich selbst- auch bei den Kindern Methoden an, die kaum gewaltfrei waren: Anstelle respektvoll, motivierend und empathisch zu unterstützen, war häufig nur diese Art von Erziehung vorstellbar: Kritisieren, Herabsetzen und Bevormunden, weil der Mensch nur mit diesen Maßnahmen imstande ist, etwas im Leben zu erreichen. Oder aber es wurde Lernen mit Bestrafung verbunden, mit dem vorgeblichen Ziel, uns selbst vor schädlichen Handlungen in der Zukunft zu schützen.

Ein Thema, das bei mangelnder Selbsteinfühlung häufig ebenfalls aktiviert wird: Menschen gehen deshalb nicht freundlich mit sich um, weil sie nicht egoistisch scheinen wollen. Das „Sich-wichtig-nehmen“ gilt sozial als nicht besonders angesehen und so wird Selbstfürsorge fatalerweise häufig mit Selbstmitleid verwechselt.[3] Wo Schamgefühle auftreten, ist Selbstkritik nicht weit und damit wiederum sabotieren wir unsere Selbstakzeptanz.

Wenn es darum geht, Selbstkritik und innere Forderungen zu übersetzen, sagt Marshall Rosenberg: anstelle uns zu beschuldigen bewerten wir unser eigenes Verhalten danach, ob und wie gut es unsere Bedürfnisse erfüllt. Es ist im Leben unvermeidlich, dass wir gelegentlich etwas tun, was unser Leben nicht bereichert und wir dies nachträglich bedauern. Aus dieser Trauererfahrung lernen wir eine Richtung zu wählen, die wir in Zukunft lieber einschlagen möchten. Und wir verändern die Haltung: diese ist durch Respekt und Empathie für uns selbst motiviert, anstatt uns selbst zu hassen oder uns  von Schuld- oder Schamgefühlen leiten zu lassen.

Damit leiten wir ein, um zu heilen, was offengeblieben ist: Das Spüren des ungestillten, des unerfüllten Bedürfnisses! Damit treten wir in einen Prozess der Selbstwahrnehmung ein, der uns notwendigerweise mit den dazugehörigen Gefühlen von Traurigkeit oder Enttäuscht-Sein verbindet. Was wir uns aber definitiv ersparen können: in den Morast von moralischer Abwertung, Selbstvorwürfen und innerer Spaltung zu versinken. Letztlich geht es dabei um’s Selbst-Verstehen: „Auch wenn ich das Resultat bedaure, welches Bedürfnis habe ich mir dabei zu erfüllen versucht?“ Dieser Prozess, wenn er auf der empathischen Ebene vollzogen wird*, führt nicht nur zur Selbst-Vergebung in einem ethischen Sinn, sondern ist durch neurobiologische Forschungen abgesichert: Selbstmitgefühl aktiviert Reaktionen in Gehirnarealen, die mit positiven Emotionen verbunden sind. Während Selbstkritik Bereiche aktiviert, die für Fehlersuche und Problemlösung zuständig sind, ist eine mitfühlende Haltung ein Akt der Selbstfürsorge, die letztlich für ein seelisches Gleichgewicht unverzichtbar ist [3].

Und in diesen Vorgängen liegt auch die Lösung zur Frage des Zwischentitels „Was Marshall Rosenberg von einem selbst bekleckerten Anzug gelernt hat“. In seinem Grundlagenwerk beschreibt er sehr anschaulich, welche Bedürfnisse hinter der Selbstverurteilung „gedankenlos“ und „blöd“ lagen. [1] Und auch die Bedürfnisse, die ursächlich hinter dem Handeln standen, das dazu führte, einen nagelneuen Anzug versehentlich mit der Farbe eines unverschlossenen Filzstiftes zu ruinieren.

In dieser selbsteinfühlenden Haltung liegt aus meiner Sicht der Schlüssel, der sich das Tor öffnet: Im so beschriebenen  Prozess, bei dem sich „Hirn mit Herz“ verbindet, können sich  erleichternde Klärung und einfühlsames Lernen einstellen. Wahr ist aber auch, dass  dieser Weg durch das Tor zu sich selbst – um bei dem Bild zu bleiben - zu  einem beständigen Üben und Bewusstwerden  auffordert. Und, was nach Rosenberg gleichfalls notwendig ist: „Eine einfühlsame Haltung ist nicht einfach immer da. Sie entsteht immer wieder, wenn wir gut für uns sorgen und uns selbst nähren.“

*Ein wichtiger Aspekt der Selbst-Vergebung ist die Fähigkeit, sich mit beiden Teilen empathisch zu verbinden: Mit dem Teil, der geschehene Handlungen betrauert und der Teil, der gehandelt hat: erst dadurch ist Lernen und Wachsen möglich!

Mag. Peter Pressnitz, Trainer für Wertschätzende/Gewaltfreie Kommunikation und Inhaber von „B2B-Empathie“, ein Trainings- und Beratungsunternehmen für NGO’s und Unternehmen

Literatur

  • [1] M.Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens Junfermann Verlag, 2009
  • [2] Jeffrey Brantley: Der Angst den Schrecken nehmen/Achtsamkeit als Weg zur Befreiung von Ängsten Arbor Verlag, 2006
  • [3] Sei nachsichtig! Mit der selbst! In: PSYCHOLOGIE HEUTE, 2011