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zusammenLeben ohne Gewalt

THEMEN 2016

Echt Extrem - Theater und Gewaltprävention

Brigitte Tauchner-Hafenscher

Brigitte Tauchner-Hafenscher

Expertinnenstimme

Brigitte Tauchner-Hafenscher

Die TheaterpädagogInnen des SOG.THEATERS sind seit Jahren in unterschiedlichsten Kontexten mit Theaterpädagogik und Gewaltprävention befasst. Im Zuge unserer Workshops an Berufsschulen fallen uns parallel zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zunehmend extremistische Tendenzen auf.

Als Beispiel möchte ich eine Berufsschule in Niederösterreich nennen, die von vorwiegend männlichen Schülern und Schülerinnen aus dem gesamten Landesgebiet besucht wird. Die Jugendlichen kommen mit dem Bild in die Schule, dass dort Gruppen von Ausländern inländischen Berufsschülern auflauern und sie fertig machen. Dieses Bild ist den Neuankömmlingen schon bekannt, weil es in ihren Heimatorten kolportiert wird. Sie sind „aufgeladen" mit diesen Bildern und bereit, zumindest verbal, ihr Land, ihre Kultur, ihre Religion und was sonst noch alles in einen Topf geworfen wird, zu verteidigen.

Wenn wir in einem Workshop von SchülerInnen mit diskriminierenden Äußerungen, gewalttätiger Sprache und Handlungen konfrontiert werden, ist es enorm wichtig, auf Hintergrund- und Methodenwissen zu den Themen Diskriminierung und Sprache, Radikalisierung und Gewalt zurückgreifen zu können. Jugendliche provozieren, zeigen auf, spiegeln die Gesellschaft, in der sie leben. Sie wollen mit ihren Fragen, Unsicherheiten, ihrer Widersprüchlichkeit ernst genommen werden und fordern eine Auseinandersetzung mit ihren Anliegen ein.

Als TheaterpädagogInnen öffnen wir Räume für diese Auseinandersetzung. Jugendliche können sich im geschützten Raum der Bühne ausprobieren, einlassen und sich und ihre Welt zum Ausdruck bringen. Ihre Ängste und Sorgen werden ernst genommen und ohne Verurteilungen auf Augenhöhe und mit wechselseitigem Respekt reflektiert. Spielerisch wird das Entstehen von Gewaltspiralen, Radikalisierung und Extremismus näher gebracht und auch Wege hinaus gesucht.

Um die Jugendlichen kompetent begleiten zu können, ist unser Team immer wieder bemüht, mit ExpertInnen in einen Fachdiskurs zu treten, gesellschaftspolitische Tendenzen und Strömungen zu reflektieren und an neuen Konzepten und alternativer Methodik zu arbeiten.

Die Fortbildungsreihe „Echt extrem - Theater und Gewaltprävention" bot den idealen Rahmen, um theoretische Inputs der ReferentInnen, sowie die anschließende Diskussion und Reflexion in unsere Arbeit einfließen zu lassen und daraus ein neues Workshopkonzept zu entwickeln.

Der Fortbildungstag mit Nino Kaufmann von der „Koje- Koordinationsbüro für offene Jugendarbeit und Entwicklung" war der Burschenarbeit gewidmet und als ein zentrales Element wurden Rollenspiele, die von den HEROES-Gruppen Berlin entwickelt wurden, vorgestellt.

Rollenspiele der HEROES-Gruppen Berlin

„Im Rollenspiel, das nach allen Lerntheorien das emotionale und effektive Lernen begünstigt, werden Konfliktsituationen nicht nur anschaulich dargestellt, sondern durch Interaktion mit den Zuschauenden weiterentwickelt.

Das Rollenspiel ist ein sehr geeignetes Mittel für die Auseinandersetzung mit konfliktreichen Themen. Es macht Spaß – sowohl den Spielern als auch den Zuschauerinnen und Zuschauern – und ermöglicht es, eine Szene in unterschiedlichen Variationen durchzuspielen. Sich in eine Rolle zu begeben und bestimmte Sätze zu sprechen bzw. gesagt zu bekommen, vermittelt einen intensiveren Eindruck einer Problematik als eine ausschließlich theoretische Debatte. Der emotionalere Zugang bewährt sich, denn es sind hoch emotional besetzte Themen, um die es geht.

  • In einem Rollenspiel wird der Sohn vom Vater aufgefordert, die Schwester zu suchen, die längst hätte zuhause sein sollen. Sie ist mit ihren Freundinnen unterwegs, möchte gern noch bleiben und will nicht mit dem Bruder gehen. Ein Freund des Bruders hetzt ihn auf, er müsse die Schwester gewaltsam nach Hause bringen um die Ehre der Familie zu schützen.
  • In einem anderen Rollenspiel freuen sich zwei Brüder, sich nach längerer Trennung wieder zu treffen. Die Tochter des einen kommt dazu, zeigt ihm ihr sehr gutes Zeugnis und fragt, ob sie mit den Freundinnen ins Kino gehen kann. Ihr Vater lobt sie und erlaubt es. Sein Bruder ist fassungslos, dass das Mädchen noch zur Schule geht und noch nicht verheiratet wurde. Er bietet an, einen passenden Ehemann im Herkunftsdorf zu suchen. Der Vater des Mädchens ist aber stolz auf seine Tochter und will ihren Wunsch, zu studieren, unterstützen. Er ist auch der Meinung, dass sie selbst einen Partner wählen soll. Darauf bricht der Bruder die Beziehung zu ihm ab, weil er ihn für ehrlos hält.
  • Im dritten Rollenspiel erklärt der Sohn seinem Vater, dass er sich verliebt hat und heiraten will. Der Vater freut sich für ihn. Als er aber hört, dass die Freundin aus Schweden kommt und keine Türkin ist, verweigert er dem Sohn seinen Segen und weist ihn aus dem Haus. Hier wird gezeigt, dass der Eingriff von Eltern in die Heiratspläne der Kinder nicht nur Mädchen betrifft.

Alle Rollenspiele bieten hervorragende Gelegenheiten mit Fragen zu den Szenen eine Diskussion zu beginnen. Wie fühlt sich der Bruder? Ist der Freund ein wirklicher Freund? Wie geht es der Schwester? Was bedeutet die Ehre der Familie? Wie kann sie beschädigt werden? Stellen Schläge die Ehre wieder her? Wie geht es dem Vater des Mädchens? Wofür ist Bildung von Mädchen und Frauen gut? Wie geht es dem Jungen mit der schwedischen Freundin? Wie geht er mit dem Loyalitätskonflikt um? Ist das alles gerecht?" Quelle: www.heroes-net.de Konzepte/Evaluation „Wissenschaftliche Begleitung 2009-2012

Dieses Konzept der HEROES- Gruppen knüpft an unsere Arbeit mit dem Forumtheater an, das seit vielen Jahren den Schwerpunkt im gewaltpräventiven Bereich von SOG.THEATER, wie auch von vielen unserer KollegInnen, bildet.

Die Methodik Boals stützt sich auf kritische Auseinanderandersetzung, Interventionsstrategien und Reflexion. Eine Modellszene, die einen ungelösten Konflikt darstellt, wird dem Publikum vorgestellt. In der sogenannten Forumphase haben die ZuseherInnen die Möglichkeit, in verschiedenen Rollen selbst Lösungsmöglichkeiten zu finden. Die SchauspielerInnen improvisieren und reagieren auf diese Veränderungsideen aus der Perspektive ihrer Rolle und machen so die Folgen des Handelns sichtbar. Die Bühne wird dadurch zu einem Proberaum der Wirklichkeit.

Bewußtmachung als Basis zu Aktion und Veränderung der eigenen Situation, beziehungsweise zum gesellschaftlichen Eingreifen steht in der Tradition emanzipatorischer Bildungstheorien, wie jener von Paolo Freire.

Wir bieten SchülerInnen die Möglichkeit, in Selbsterfahrung, auf emotionaler Ebene hin zu spüren. Wie es sich anfühlt, ausgelacht, verspottet, bedroht zu werden. Im Forumtheaterstück „Sofies Geheimnis" oder in den Workshops „Powerplays" können sie spielerisch erfahren, was Mobbing und Ausgrenzung mit einem macht und gleichzeitig Strategien Lösungsmodelle entwickeln.

Aktuell arbeitet meine Kollegin Brigitte Moscon mit Schülerinnen einer NMS in Wien an einem sehr spannenden Projekt.

„Wut tut gut!" – Eine theatrale Forschungsreise

In diesem Theaterforschungsworkshop haben die SchülerInnen die Möglichkeit, eigene Gewalterfahrungen zu thematisieren und künstlerisch zu bearbeiten. Ausgehend von Theatermethoden, die den Körper sensibilisieren, wird der Sinn für eigene Grenzen geschärft. Durch die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen künstlerischen Strategien lernen sie Aggression und Zerstörungswut in kreative Schaffensprozesse zu verwandeln.

Mit dieser Expertise haben auch wir wieder die Möglichkeit, die Ergebnisse dieser theatralen Forschungsreise in die Entwicklung zukünftiger Forumtheaterprojekte einfließen zu lassen.

Augusto Boal - Das Theater der Unterdrückten

Augusto Boal (1931 – 2009) war ein brasilianischer Theaterregisseur, Autor und Theatertheoretiker. Er entwickelte die Theaterformen „Theater der Unterdrückten", „Forumtheater", „Legislatives Theater" und das „Unsichtbare Theater". Boal ging es um die Aufhebung des klassischen, autoritären Theaters, um die Befreiung des Publikums aus der Passivität. Im Theater Boals werden die ZuseherInnen zum Handeln ermutigt und ermächtigt. Boal lebte viele Jahre in Europa im Exil und entwickelte seine Theatermethoden auch angepasst an europäische Verhältnisse weiter. Sein Theater der Unterdrückten hat sich in der Pädagogik, in der Theaterpädagogik, im Schauspieltraining, im therapeutischen Bereich und in der Teamentwicklung etabliert.

Resümee

Gedanklich zurück in unsere Fortbildungsreihe und den sehr spannenden Diskurs mit unseren ReferentInnen (Nino Kaufmann, Koje – Koordinationsbüro für offene Jugendarbeit und Entwicklung, Dr.in Christa Markom, Institut für Kultur – und Sozialanthropologie, Universität Wien, Myassa Kraitt, Fachstelle Extremismus) möchte ich abschließend noch ein paar Rückschlüsse ziehen.

Jugendliche leben in einem Spannungsfeld verschiedenster Projektionen. Einerseits die Vorstellung eines perfekten Lebens mit Wohlstand, Familie, beruflichem Erfolg und der Partizipation am gesellschaftlichen Leben. Sie sind konfrontiert mit Millionen Möglichkeiten, Angeboten und Verlockungen, aber auch Erwartungshaltungen, Stress und der Angst, zu scheitern.

Andererseits spielen Bedeutungs- und Sinnebene, gemeinschaftliches und solidarisches Handeln gesamtgesellschaftlich gesehen eine immer geringere Rolle. Jugendliche auf der Suche nach ihrer Identität und ihrem Platz in der Gesellschaft sind daher auf der Suche nach Zugehörigkeit, nach Gestaltungsmöglichkeit. Die Sehnsucht nach Abenteuer und Action, idealistische Motive, die Wahrnehmung von Ungerechtigkeit, Selbstwerterfahrungen, der generelle Versuch, sich zu artikulieren und der soziale Kontakt sind Themen, die sich überschneiden und junge Menschen immer wieder zum Spielball destruktiver Kräfte werden lassen.

Die Umwandlung destruktiver Kräfte in ein schöpferisches Tun, die Möglichkeit der Selbsterfahrung und Selbstreflexion sind daher Basis unserer gewaltpräventiven Arbeit. Wir wollen unseren jungen TeilnehmerInnen Platz schaffen, um Selbstvertrauen und Persönlichkeit zu stärken. Wir wollen ihre Neugierde wecken und ihnen Mut machen.

... will den Menschen nicht belehren, sondern ihm die Möglichkeit der freien Selbstentfaltung bieten, um in ihm eigenschöpferische Prozesse in Gang zu setzen (Grotowski), die ihn die Welt sehen lassen, wie sie ist: veränderbar! (Brecht)

Brigitte Tauchner-Hafenscher, freischaffende Theaterpädagogin und Schauspielerin, Projektleiterin, Trainerin und Ensemblemitglied bei SOG.THEATER

Literatur

  • [1] Neuroth, Simone: Augusto Boals Theater der Unterdrückten in der pädagogischen Praxis. Weinheim, 1994
  • [2] Weintz, Jürgen: Augusto Boal Regenbogen der Wünsche, Methoden aus Theater und Therapie Kallmeyer, Velber, 1999
  • [3] Feldhendler, Daniel: Boal Augusto Theater der Unterdrückten, Übungen und Spiele für Schauspieler und Nicht-Schauspieler Edition Shurkamp, Frankfurt/Main, 1979
  • [4] Psychodrama und Theater der Unterdrückten Frankfurt/Main: Puppen u. Maspekt, 1987
  • [5] Odierna Simone, Fritz Letsch: Theater macht Politik. Forumtheater nach Augusto Boal, ein Werkstattbuch AG Spak Bücher – Institut f. Jugendarbeit Gauting, 2006
  • [6] Fritz Birgit: InExActArt - ein Handbuch zur Praxis des Theater der Unterdrückten Ibidem: Stuttgart, 2011

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gegen Unterdrückung in Namen der Ehre - Ein Projekt für Gleichberechtigung von Strohhalm e.V.

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