THEMEN 2016
Alter und Gewalt – Rat für Angehörige und Pflegende

Mag.a Petra Jenewein
Expertinnenstimme
Mag.a Petra Jenewein
Rat für Angehörige und Pflegende in Form von zwei bewährten Schulungsprogrammen
"Gewalt gegen alte Menschen, die in Einrichtungen oder auch in Familien gepflegt werden, wird zunehmend Thema von Diskussionen, Veröffentlichungen und Fortbildungen. Und das ist gut so. Wer alt und in seinen Lebensmöglichkeiten eingeschränkt ist, braucht das Recht auf Unversehrtheit und Schutz gegen aggressive und gewalttätige Übergriffe.
Aber es gibt auch noch eine andere Aggressivität, die sich gegen die richtet, die eigentlich Hilfe spenden, also gegen die Pflegenden selbst. Die Aggressivität kann sich durchaus gewalttätig äußern, auch wenn sie oft nicht als Gewalt bezeichnet, sondern als "herausforderndes Verhalten" bei Demenz umschrieben und damit bagatellisiert wird." (Baer, U. et al, 2014, S.10).
Im Rahmen der Demenzberatung der Caritas in Innsbruck und als Referentin zu den Themen Demenz und Gewalt im Alter im Bildungszentrum der Caritas begegnen mir sowohl Erfahrungen mit Gewalt von älteren Menschen gegen die Begleiter und Helfenden, als auch Gewalt gegen ältere Menschen von den Angehörigen und Pflege- und Betreuungspersonen. Im folgenden möchte ich zwei Schulungsprogramme vorstellen, die sich im Bildungsbereich in den letzten Jahren zum Zwecke der Gewaltprävention im Alter etabliert haben.
Dies ist zum einen die "EduKation demenz®", ein Schulungsprogramm für Angehörige von Menschen mit Demenz und zum anderen ein Workshop im Rahmen des Projektes "Konzeptionierung und Umsetzung eines Wegweisers zur Gewaltprävention", der im Auftrag des Sozialministeriums vom Verein Pro Senectute österreichweit in die Umsetzung geht. Aggressivität und Gewalt in den Familien sind dabei besonders schmerzlich, werden aber auch besonders tabuisiert.
Was bedeutet „EduKation demenz®"?
„EduKation demenz®" ist die Abkürzung für: „Entlastung durch Förderung der Kommunikation bei Demenz". So heißt das Schulungsprogramm für Angehörige von Menschen mit Demenz, das an der Friedrich-Alexander-Universität von Frau Prof. Dr. Sabine Engel 2006 entwickelt wurde. „EduKation demenz®" ist die einzige wissenschaftlich evaluierte Angehörigenschulung in Deutschland und im deutschsprachigen Ausland.
Es konnte nachgewiesen werden, dass sich bei Angehörigen, die an dem Schulungsprogramm „EduKation demenz®" teilnahmen, Depressivität und Belastungsempfinden signifikant und langfristig reduzieren, und sie befähigt werden, die alltäglichen Konfliktsituationen, die sich im Zusammenleben mit einem Demenzkranken immer wieder ergeben, durch gelingende einfühlsame Kommunikation besser zu bewältigen.
„EduKation demenz®" ist ein Schulungsprogramm, das speziell für Angehörige von Menschen mit Demenz entwickelt wurde.
Ziele der Schulung sind es, den Angehörigen darin zu unterstützen, für die Krankheit „Demenz" Verständnis zu entwickeln - mit all ihren besonderen Auswirkungen auf das Leben des Kranken und das des Angehörigen. Es gilt, ein neues Verständnis für den Kranken zu entwickeln, eigene Gefühle von Trauer und Verlust zu erkennen und zu akzeptieren und die eigene neue Rolle als betreuender Angehöriger annehmen zu lernen.
Die Schulung ist als Gruppenprogramm konzipiert und umfasst 10 ausgearbeitete aufeinander aufbauende Sitzungen (á 120 Minuten), die wöchentlich oder zweiwöchentlich angeboten werden. In jeder Sitzung wird zunächst das Thema im Gruppengespräch erarbeitet, anschließend durch Wissensvermittlung durch die Leitung vertieft und in einer Abschlussrunde noch einmal hinsichtlich der Alltagsrelevanz für die einzelnen Angehörigen reflektiert. Siehe auch: www.schulung-demenz.de
Bereits acht EduKationskurse demenz® haben in Tirol seit 2014 stattgefunden. Insgesamt 56 Angehörige haben teilgenommen. Wie viele gewaltgeneigte Situationen dadurch verhindert werden konnten, lässt sich nicht zahlenmäßig erfassen. Dass sich durch eine Reduktion der Überforderung jedenfalls die Qualität der Begleitung erhöht hat, ist unbestritten.
Konzeptionierung und Umsetzung eines Wegweisers zur Gewaltprävention in Betreuungsorganisationen
Das Sozialministerium hat das Projekt "Konzeptionierung und Umsetzung eines Wegweisers zur Gewaltprävention in Betreuungsorganisationen" in allen Bundesländern in Auftrag gegeben. Der Verein Pro Senectute wurde dabei mit der Umsetzung beauftragt. Das Projekt dient der Gewaltprävention in Einrichtungen für die Begleitung von Menschen im Alter. Pro Senectute Verein für das Alter in Österreich hat einen Pool an Expertinnen gesammelt, die die Workshops in ganz Österreich durchführen werden.
Neben der Durchführung von vorerst zumindest einem eintägigen Workshop (8h) pro Bundesland, um in Einrichtungen konkrete Handlungsstrategien zur Gewaltprävention entwickeln zu können (Formulierung von Lösungsmöglichkeiten und Festlegen von Lösungsschritten), werden diese Workshops auch protokolliert, hierbei vor allem erfolgreiche Praxisbeispiele. Weiters werden unterschiedliche Formen der Sensibilisierung getestet (zum Beispiel handliche Flyer, großflächige Plakate, Handbuch).
In einigen Bundesländern haben bereits Workshops stattgefunden, die Rückmeldungen sind ermutigend. Siehe auch: www.prosenectute.at
Schulungen sind ein Baustein in der Gewaltpräventionsarbeit. Bewusstsein schaffen für die eigene Überforderung und Sensibilität entwickeln, wenn wir Opfer von Gewalt werden, sind dabei die Herzstücke von den beiden oben geschilderten Schulungsmaßnahmen. Gewalt kann von älteren Menschen, aber auch von Pflegenden ausgehen. Dem können und müssen wir uns entgegenstellen.
Mag.a Petra Jenewein ist Gerontopsychologin, Klinische- und Gesundheitspsychologin und tätig bei Caritas Tirol im Demenz Servicezentrum: Demenzberatung
Literatur
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[1] Udo Baer; Gabriele Frick-Baer; Gitta Alandt : Wenn alte Menschen agressiv werden - Demenz und Gewalt - Rat für Angehörige und Pflegende Belz, 2014
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[2] Prof. Dr. Sabine Engel: Alzheimer & Demenz - Die Methode der einfühlsamen Kommunikation Thieme, 2011
Links
www.schulung-demenz.de
EduKation demenz®
www.prosenectute.at
Verein für das Alter in Österreich