THEMEN 2016
Queere Konzepte in der gewaltpräventiven Arbeit mit Jugendlichen

Mag.a Renate Tanzberger
Expertinnenstimme
Mag.a Renate Tanzberger
So fing alles an ...
Der Verein EfEU ist seit fast 30 Jahren im Bildungsbereich zum Thema Gender, geschlechtssensible Pädagogik sowie Gewaltprävention tätig, ein Schwerpunkt der Arbeit ist dabei insbesondere die Verbindung von Theorie und Praxis. Während im Bereich der Wissenschaft – beispielsweise in den Gender Studies und Queer Studies – in den letzten Jahren sehr viel zum Thema Dekonstruktion von Geschlecht diskutiert und publiziert wurde, gibt es wenig Material für die praktische Umsetzung dekonstruktivistischer/ queerer/ normativitätskritischer Perspektiven in der Bildungsarbeit, insbesondere im Kontext gewaltpräventiver Arbeit mit Jugendlichen.
Daher beschlossen wir 2014 im Rahmen der „Plattform gegen die Gewalt in der Familie" ein Projekt zu initiieren, bei dem es uns darum ging, uns mit Genderexpert*innen darüber auszutauschen, wie es gelingen kann, mit Jugendlichen polare Geschlechterbilder und Heteronormativität zu dekonstruieren und die Binarität von Geschlecht in Frage zu stellen. Kein leichtes Vorhaben. Wachsen Jugendliche doch in einer Welt auf, in der sie nach wie vor mit Erwartungen konfrontiert sind, wie Mädchen beziehungsweise Buben zu sein haben. Und auch wenn es Thomas Neuwirth mit der Kunstfigur Conchita Wurst 2014 gelang, den Eurovision Song Contest zu gewinnen oder Thomas Hitzlsperger (Spieler der deutschen Nationalmannschaft) sich nach Ende seiner Fußballkarriere als schwul outet und von Christine Hödl, die 2011 die ORF-Talenteshow „die große Chance" gewann, bekannt war, dass sie in einer eingetragenen Partnerschaft mit Frau und Tochter lebt, darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass Jugendliche, die sich als schwul, lesbisch, trans oder queer verstehen, oftmals Diskriminierungen und Gewalt erfahren.
Was tun gegen Diskriminierung?
Bei einer EU-weiten Online-Umfrage zu den Erfahrungen von LGBT-Personen mit Diskriminierung und Hassverbrechen im Jahr 2012 erinnerten sich mehr als 80% der Umfrageteilnehmer*innen an negative Bemerkungen oder Mobbing gegenüber jugendlichen LGBT-Personen in der Schule und 67% aller Umfrageteilnehmer*innen hatten ihre sexuelle Ausrichtung während ihrer Schulzeit bis zum Alter von 18 Jahren häufig oder immer verheimlicht. [FRA – Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (2013): LGBT-Erhebung in der EU.]
Personen, die mit Jugendlichen arbeiten (ob in der Schule oder der Jugendarbeit), berichten immer wieder davon, dass „schwul" als Schimpfwort verwendet wird und Männlichkeit durch eine Abgrenzung zum Weiblichen oder zum Schwul Sein hergestellt wird. Und für einen Großteil der Mädchen scheint es wichtig zu sein, als „richtiges Mädchen" wahrgenommen zu werden und das heißt vielerorts, sich für Burschen zu interessieren, bestimmten Schönheitsidealen zu entsprechen,...
Für mich sprechen drei Gründe dafür, Zweigeschlechtlichkeit und vielfältige L(i)ebensformen mit Jugendlichen zu thematisieren:
- Um Jugendliche, die sich selbst als LGBTIQ verstehen, sichtbar zu machen.
- Um mit allen Jugendlichen über Geschlecht, Geschlechterrollen und Zuschreibungen zu reflektieren und ihnen dadurch ein Leben mit weniger Einschränkungen zu ermöglichen.
- Um Mobbing gegenüber Jugendlichen, die sich selbst als LGBTIQ verstehen, vorzubeugen und diesen ein gewaltfrei(er)es Leben zu ermöglichen.
Damit dies möglich ist, braucht es Multiplikator*innen (Lehrer*innen, Jugendarbeiter*innen), die Stellung beziehen, wenn „schwul" wieder einmal als Schimpfwort verwendet wird und die ganz selbstverständlich von diversen Lebensmodellen sprechen (und nicht automatisch davon ausgehen, dass Jugendliche heterosexuell sind). Schulen bzw. Jugendeinrichtungen müssen deutlich machen, dass alle Jugendlichen, egal ob lesbisch, schwul, bi, trans, queer, hetero,... willkommen sind und darauf achten, dass diese keine Diskriminierung erfahren. Manchmal wird es notwendig sein auch explizit zu LGBTIQ-Themen zu arbeiten. Dann kann es sinnvoll sein, jemand von außen einzuladen (s. Hinweise bei den Links).
Das Ergebnis: eine Fortbildungsreihe
Im September 2016 findet das 14. Treffen des eingangs erwähnten Expert*innen-Austausches zu queeren Konzepten in der gewaltpräventiven Arbeit mit Jugendlichen statt. Bei den bisherigen Treffen ging es uns um den Austausch und das Ausprobieren von Methoden, um das Diskutieren ausgewählter Texte, um gegenseitiges Coaching und um einen Informationsaustausch. Ein konkretes Ergebnis der Treffen stellt eine Fortbildungsreihe dar, bei der wir theoretische Inputs geben und praktische Beispiele bringen, wie mit Jugendlichen Sexismus, Homo- und Transphobie als individuelle und strukturelle Gewaltphänomene bearbeitet und ihre Auswirkungen auf das Leben von Jugendlichen reflektiert werden können:
- Modul 1: Gender_queer am Mo, 10. Oktober 2016
- Modul 2: „Gemeinsam gegen Homo- und Transphobie" am Do, 10. November 2016
- Modul 3: Einsatz von Medien in der Bearbeitung von LQBTIQ*-Themen am Mo, 28. November 2016 – jeweils von 17h-20h im Verein EfEU (1030 Wien, Untere Weißgerberstraße 41). Nähere dazu s. http://efeu.or.at/seiten/download/folder_queer_fb_reihe_efeu_2016.pdf.
Ich würde mich freuen, wenn ich mit diesem Artikel Neugierde auf eine Auseinandersetzung mit diversen Lebensweisen wecken konnte und schließe mit einer Erklärung der *-Schreibweise, einem kleinen Glossar zu den von mir im Text verwendeten Begriffen sowie einer kleinen Auswahl an Literatur- und Linktipps.
Zur Schreibweise
Mit dem Sternchen * will ich sichtbar machen, dass es jenseits von Personen, die sich als Mann oder Frau verorten noch eine Vielzahl an Möglichkeiten von Geschlecht(sidentitäten) gibt.
- LGBTIQ steht für lesbian, gay, bi, trans, inter, queer
- Queer kann als Überbegriff für alle sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten gelten, die nicht der gesellschaftlichen Norm von Geschlecht und Sexualität entsprechen. Queer beschreibt aber auch eine Denkrichtung, die sich gegen Schubladendenken wehrt. [aus: Queer Lexikon (22.7.2016)]
- Queer fungiert nicht als Identitätsbegriff, sondern verweist u.a. auf Praktiken und gesellschaftliche Positionen, die zweigeschlechtliche und heterosexuelle Normen in Frage stellen. [aus: Netzwerk Trans*Inter*Sektionalität (22.7.2016)]
Mag.a Renate Tanzberger: Obfrau des Vereins zur Erarbeitung feministischer Erziehungs- und Unterrichtsmodelle
Literatur
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[1] Claudia Krell, Kerstin Obermeier: I am what I am? – Erfahrungen von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans* und queeren Jugendlichen in Deutschland In: Gender. Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft 2016 / Heft 2 zum Thema „Normalität dekonstruieren: queere Perspektiven“, Budrich Journals, 2016
Weitere Informationen -
[2] Claudia Krell, Kerstin Obermeier: ‘Making Art, Making Media, Making Change!?‘ Prozesse des Queerings und des Empowertments in der Arbeit mit Jugendlichen In: Gender. Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft 2016 / Heft 2 zum Thema „Normalität dekonstruieren: queere Perspektiven“, Budrich Journals, 2016
Weitere Informationen -
[3] Recla Ammo; Schmitz-Weicht Cai: Ansätze einer queeren Bildungsarbeit In: Sarah Huch / Martin Lücke (Hg.), Sexuelle Vielfalt im Handlungsfeld Schule. Konzepte aus Erziehungswissenschaft und Fachdidaktik, Transcript Verlag, 2015
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[4] FRA – Agentur der Europäischen Union für Grundrechte: LGBT-Erhebung in der EU. Erhebung unter Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen in der Europäischen Union. Ergebnisse auf einen Blick. 2013PDF
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[5] Braig Maria: Spanische Dörfer. Wege zur Freiheit. Verlag 3.0 … ein Jugendbuch, 2016
Links
Gender NRW
Fachstelle Gender NRW
Die Rainbowscouts
Die Rainbowscouts sind eine Initiative für lesbische, schwule, bi- und transsexuelle PfadfinderInnen; hier werden diverse Übungen/Methoden für die Arbeit mit Jugendlichen zu LGBT-Themen vorgestellt.
die Standard.at Blog
Ein Blog über den Weg von einem Geschlecht in ein anderes.
HOSI Wien - Homosexuelle Initiative Wien - queerconnexion
Ein Projekt der HOSI Wien, in dessen Rahmen junge Lesben, Schwule, Bisexuelle, Pansexuelle, Trans-, Inter- und queere Personen mit Jugendlichen (Schulklassen sowie außerschulischen Jugendgruppen) Workshops zu den Themen sexuelle Orientierung/Geschlechtsidentität/Geschlechterrollen abhalten.
Die Villa.at - Bildungsarbeit
Die Türkis Rosa Lila Villa, ein Community-Zentrum für Lesben, Schwule und Trans*Personen in Wien, bietet Gruppen (Jugendlichen, Multiplikator*innen etc.) die Möglichkeit sich mit Strategien zur Erkennung und Bearbeitung von Diskriminierung sowie der Überwindung von Vorurteilen zu beschäftigen.