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zusammenLeben ohne Gewalt

THEMEN 2017

Kulturelle Inklusion von Demenzkranken

Mag.a Bernadette Karner

Mag.a Bernadette Karner

Expertinnenstimme

Mag.a Bernadette Karner

Jeder Mensch hat ein Anrecht auf Kulturelle Teilhabe

Im Artikel 27 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wird festgehalten, dass „Jeder das Recht hat, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben."

Daraus würde man schließen können, dass jeder Mensch ein Anrecht auf Teilhabe am kulturellen Leben hat. Aber wie sieht die Realität in Österreich aus? Welche Möglichkeiten stehen Menschen mit einer dementiellen Erkrankung offen, um am kulturellen Leben partizipieren zu können? Denn nach wie vor berücksichtigt unser Verständnis für Kunst und Kultur, aber auch unsere gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Wertehaltungen nicht die Bedürfnisse, Wünsche und Fähigkeiten von Menschen mit Demenz.

Strukturelle Gewalt und Kulturelle Teilhabe

Für den norwegischen Friedensforscher Johan Galtung ist „Strukturelle Gewalt eine vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse oder allgemeiner ausgedrückt, des Lebens, die den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung unter das herabsetzt, was potentiell möglich ist".

Strukturelle Gewalt entsteht also, wenn ein Gesellschaftssystem so strukturiert ist, dass bestimmte Menschen oder Personengruppen nicht an Teilen des gesellschaftlichen Lebens partizipieren können oder sie benachteiligen. Dies trifft unter anderem auch auf Menschen mit Demenz zu, die meist vom kulturellen Leben ausgeschlossen bleiben, da es in Österreich nach wie vor kaum spezifische Angebote für Sie gibt.

Laut Schätzungen der Österreichischen Alzheimergesellschaft leben derzeit in Österreich ca. 100.000 Menschen mit einer dementiellen Erkrankung. Im Jahr 2050 wird diese Zahl auf etwa 230.000 angestiegen sein.

Es ist also höchste Zeit, dass (geistige) Schranken abgebaut und ein Angebot geschaffen und ausgebaut wird, damit Betroffene und ihre Angehörigen auch an den schönen Dingen des Lebens teilhaben können.

Erfreulicherweise beginnt sich das nun auch in Österreich in kleinen Schritten zu ändern. Denn das Bewusstsein für den Ausschluss und die Benachteiligung von bestimmten Gruppen am kulturellen Leben ist gestiegen, und es werden erste Angebote für diese Zielgruppen etabliert.

Auch wenn die Sprache versagt, das Herz wird nie dement. Kunst erreicht unsere Seele, zeigt uns, dass wir noch vieles können.
(Helga Rohra, Autorin und Demenz - Betroffene)

Erste kulturelle Angebote für Menschen mit Demenz

Auf Initiative von Pro Senectute beginnt sich nun auch bei uns in Österreich ein kulturelles Angebot für Menschen mit Demenz zu etablieren und zu verbreiten. Dabei handelt es sich um spezielle Museumsführungen für Betroffene, ihre Angehörigen und Betreuungspersonen.

In Deutschland gibt es ein solches Angebot bereits seit über 10 Jahren. So besuchte vor drei Jahren meine Kollegin Silvia Tuider eine dieser „besonderen Führungen" im Wallraf Richartz Museum in Köln. Berührt von den Reaktionen der Betroffenen und deren Begleitpersonen und der einfühlsamen und wertschätzenden Gestaltung wurde die Idee geboren, dieses Angebot nach Österreich zu bringen.

Im November 2015 haben wir Jochen Schmauck-Langer von dementia+art zum ersten Fortbildungsseminar zum Thema „Kulturelle Teilhabe für Menschen mit Demenz" nach Wien eingeladen. Nach dem ersten erfolgreichen Seminar folgten weitere Fortbildungen in Linz und Salzburg. Zwei weitere in Tirol und der Steiermark sind für 2017 geplant.

Zu den Seminaren werden neben MuseumsmitarbeiterInnen aus dem Bereich Kunstvermittlung, auch Personen aus dem Alten-, Pflege- und SeniorInnenbereich eingeladen. Denn neben der theoretischen und praktischen Auseinandersetzung mit dem Thema, geht es uns auch darum, dass es zu einem ersten Kennenlernen und zu einer Vernetzung Aller Beteiligten kommt. Denn nur so können wir erreichen, dass das Angebot auch angenommen wird.

Bereits bestehende Angebote an österreichischen Museen

Es freut uns sehr, dass sich aus dieser Initiative ein Angebot an Führungen für Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen in verschiedensten Städten in Österreich entwickelt hat. So gibt es seit 2016 erstmals Führungen an drei Wiener Museen: der Albertina, dem Belvedere und dem Kunsthistorischen Museum. In Linz werden Führungen im Lentos, im Kunstmuseum, im Landesmuseum und im Stadtmuseum Nordico angeboten. Und im Frühling 2017 startet auch das Salzburg Museum mit den ersten Führungen.

Ressourcenstärkend

Die positive Wirkung dieses Angebotes ist meist auf den Gesichtern der Menschen abzulesen. Und es wird auch von Seiten der Betreuenden betont, dass diese Ausflüge für die Menschen selbst ein besonderes Erlebnis sind. Und so wissen wir aus den Rückmeldungen von Angehörigen, Betreuenden und den KunstvermittlerInnen, dass dieses Angebot begeistert angenommen wird.

Zum Abschluss würde ich gerne noch Frau Dr.in Rotraud Krall aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien zu Wort kommen lassen:

„Bereits der erste Workshop bestätigte, dass das Eingehen auf die Menschen, eine einfühlsame Ich-Du Begegnung, Wohlbefinden bei den BesucherInnen schaffen und die innere Isoliertheit aufbrechen kann. Selbst ein Besucher mit stark ausgeprägter Sprachfindungsstörung, der anfänglich gar kein Interesse an kreativer Tätigkeit zeigte, begann am immer muntereren Treiben im Atelier teilzunehmen".

Mag.a Bernadette Karner ist Mitarbeiterin von Pro Senectute – Für das Alter in Österreich, Mediatorin, Kultur- und Sozialanthropologin und Tanzpädagogin