THEMEN 2017
Altersgemäße Aufklärung als Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch

Mag.a Gabriele Rothuber
Expertinnenstimme
Mag. Gabriele Rothuber
Was hat „Aufklärung" mit der Vorbeugung von sexualisierter Gewalt an Kindern zu tun?
Der Großteil der Täter*innen kennen ihre Opfer gut bis sehr gut, kommen aus deren nahen sozialen Umfeld. Das Warnen vor „bösen Unbekannten" greift hier viel zu kurz, um Kinder zu schützen. Täter*innen nutzen oft die Neugierde und Unwissenheit der Kinder aus („Soll ich dir zeigen, wie das geht?") oder stellen sexuelle Handlungen mit Kindern als Normalität dar („Das machen alle Nichten mit ihrem Onkel.")
Gut aufgeklärte Kinder
- haben Namen für all ihre Körperteile (wenn es nur ein „Da-unten" gibt, wenn Körperteile tabuisiert werden oder es nur extrem kindliche Wörter hierfür gibt, wird es schwierig, sich jemandem anzuvertrauen)
- wissen, wo Sexualität „hingehört" – nämlich zu großen Jugendlichen oder Erwachsenen, wenn beide das wollen
- werden mit ihren Fragen nicht alleine gelassen
- sind deshalb früher geschützt: weil sie Übergriffe einordnen und abwehren sowie sich schneller Hilfe nach einem erfolgten Übergriff holen können.
Der eigene „Aufklärungsrucksack"
- Wann und von wem wurden Sie aufgeklärt?
- Was haben Sie vermisst?
- Was lief gut?
Die wenigsten Menschen können sagen: „Es war super – genauso würde ich das auch machen!" – Aber: man kann es lernen!
Sexualerziehung ist Teil der Sozialerziehung und nicht biologische „Aufklärungsstunde", die in einem gewissen Alter „absolviert" wird und die Mensch dann „hinter sich hat"! Sexualerziehung beginnt mit der Geburt – etwa wenn man beim Wickeln die Geschlechtsteile des Säuglings benennt – und sollte ein Begleiten bis ins Erwachsenenalter darstellen.
Man weiß aus der Psychologie, dass alle Kinder in bestimmten Phasen folgende Fragen interessieren (Altersangaben immer ungefähr):
- ab 3 Jahren interessieren sich Kinder für den Geschlechtsunterschied,
- ab 4 wollen sie wissen: „wo kommen die Babys her?" (aus dem Bauch der Mutter),
- ab 5 „wo kommen sie raus?" und
- ab etwa 6 Jahren: „wie kommen sie hinein?" Viele Kinder stellen diese Fragen nicht direkt, obwohl sie sich mit ihnen beschäftigen – auch hier ist es wichtig, sie zu beantworten.
Leider hören noch immer viele Kinder auf Fragen, die Sexualität betreffend: „Da bist du noch viel zu jung". Wer würde dann nochmals einen Anlauf wagen, wenn man merkt, dass hier auf Widerstand gestoßen wird? Wenn wir unseren Kindern ihre Fragen nicht beantworten, werden es ältere Jugendliche, Geschwister, die „Neuen" Medien tun – wahrscheinlich in einer Weise, die nicht mit unserer Wertehaltung übereinstimmt.
Je früher in Familien das Thema Sexualität als völlig normales Thema besprochen werden kann, desto länger kommen Kinder mit ihren Fragen. Wer erst kurz vor der Pubertät darüber zu reden beginnt, darf sich nicht wundern, wenn es für Kinder und Eltern peinlich wird und sie nichts mehr wissen wollen. (Für viele Volksschulkinder ist Pornografie heute der Einstieg ins Thema, nicht mehr das Gespräch zu Hause oder in der Schule).
Je früher Kinder behutsam und altersgemäß aufgeklärt werden, desto einfacher machen es sich Eltern: mit Vorschulkindern zu besprechen, wie die meisten von uns entstanden sind, ist für sie ebenso Wissensvermittlung wie etwa „Warum gibt es keine Dinos mehr?".
Je weiter Kinder in Richtung Vorpubertät gehen, desto „krampfiger" und peinlicher wird das Gespräch, wenn vorher keine gute Basis gelegt wurde.
Übrigens:
- es darf bei dem Thema gelacht werden – es ist lustig für Kinder!
- es darf sich geekelt werden! Kinder im Volksschulalter würden lieber adoptieren als „das" zu machen (sie bedauern auch manchmal ihre Eltern, die das etwa dreimal machen mussten, wenn sie 2 Geschwister haben). Stärken Sie Ihr Kind in seinem Gefühl: „Ja, das kann man sich als Kind gar nicht vorstellen, dass das schön ist: das darf auch niemand mit einem Kind machen"!
- Sie müssen nicht alle Fragen sofort beantworten! Seien Sie authentisch und verschaffen Sie sich Zeit: „Ich muss mir erst überlegen, wie ich dir das beantworte" oder „mit mir hat niemand über solche spannenden Dinge geredet, ich muss das auch erst lernen".
- Bilderbücher sind ein guter Einstieg: lieber zuerst im Buchhandel durchblättern, statt per Versand zu kaufen: Bilder und Werte müssen für Sie passen
- mit Kindern über Sexualität zu reden bedeutet nicht, über die eigene Sexualität zu sprechen! Wahren Sie Ihre Intimsphäre – und seien Sie so Vorbild: „Das ist was zwischen .... und mir. Aber ich kann dir das gerne allgemein beantworten."
- Kinder dürfen ruhig erfahren, dass Erwachsene „das" nicht nur machen, weil sie Babies wollen, sondern weil es schöne Gefühle macht.
- es ist Kinder durchaus zumutbar, dass sie erfahren, dass es Erwachsene gibt, die Sex mit Kindern wollen: sie an Stellen berühren, wo das total unangenehm ist, ihnen Fotos / Filme zeigen, wo Leute Sex machen etc. Allerdings sollte zuvor eine liebevolle Aufklärung passiert sein und nicht die Schattenseiten der Einstieg ins Thema.
Noch eine kleine Hilfestellung, wenn es um das Beantworten von Fragen geht: gehen Sie nach dem „Löwe-Prinzip" vor: was würden Sie antworten, wenn Ihr Kind Sie fragt: „Wo wohnt der Löwe?": im Zoo, in der Savanne, in Afrika... Punktgenau.
Versuchen Sie, bei Kinderfragen, die die Sexualität betreffen, ebenfalls so zu antworten, statt weit auszuholen und hochwissenschaftlich zu werden – in der Hoffnung, wenn „ich auf den Punkt komme", hat das Kind bereits das Interesse verloren.
Kinder, die nicht erfahren, dass man über die „Sonnenseiten" der Sexualität sprechen darf, werden mit den „Schattenseiten" nicht zurechtkommen.
Literaturempfehlung für Eltern / Bezugspersonen:
„Klär mich auf" – 101 echte Kinderfragen rund um ein aufregendes Thema: Katherina von der Gathen