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zusammenLeben ohne Gewalt

THEMEN 2018

StoP - Stadtteile ohne Partnergewalt: Das Nachbarschaftsprojekt für gewaltfreie Beziehungen startet in Wien, Bezirk Margareten

Portrait Mag.a Maria Rösslhumer

Mag.a Maria Rösslhumer

Expertinnenstimme

Mag.a Maria Rösslhumer

NachbarInnen können einen wichtigen Beitrag zur Verhinderung von häuslicher Gewalt leisten - wenn sie dabei gestärkt und unterstützt werden. Sie drehen den Fernseher leise und hören hin, wenn Schreie oder Poltern aus der Wohnung nebenan zu hören sind. Sie klingeln an der Tür dieser Wohnung, fragen, ob sie ein Aufladegerät für ihr Handy ausleihen können, unterbrechen die Gewalthandlung. Sie rufen die Polizei, um Gewalt zu stoppen. Sie geben betroffenen Frauen und Kindern wichtige Notrufnummern. Sie bieten den Frauen und Kindern kurzfristig Unterschlupf an. NachbarInnen treffen sich mit anderen NachbarInnen und informieren über häusliche Gewalt in einem Einkaufszentrum.

Häusliche Gewalt, Gewalt in Beziehungen, Partnergewalt kommt in allen sozialen Schichten und allen Kulturen vor und es ist ein weit verbreitetes Problem. Betroffene von häuslicher Gewalt und Partnergewalt sind überproportional Frauen und Kinder.

Erfahrungen und zahlreiche Studien bestätigen, dass langjährige und wiederholte Gewalt krank macht. Viele gewaltbetroffene Frauen und Kinder leiden aufgrund von langjährigen und/oder schweren Gewalterfahrungen an psychosomatischen Belastungen und sogar an psychiatrischen Erkrankungen. Je früher jedoch betroffene Frauen und Kinder adäquate Hilfe und Unterstützung erhalten, desto früher können Betroffene "heilen" und ein Leben ohne Gewalt fortsetzen.

Der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF)  mit Sitz in Wien Margareten setzt hier an und engagiert sich seit 3 Jahrzenten, um Partnergewalt, Gewalt in der Familie zu verhindern und Betroffene von Gewalt direkt oder indirekt und auf vielen verschiedenen Ebenen zu unterstützen.

Der AÖF Verein koordiniert die autonomen Frauenhäuser, leitet die Frauenhelpline 0800 222 555 (24 Stunden, österreichweit, anonym, kostenlos, mehrsprachig), und leistet umfangreiche Gewaltpräventionsarbeit, Öffentlichkeits- und Kampagnenarbeit über die Informationsstelle gegen Gewalt und bietet österreichweit ExpertInnen und Fachwissen an, leiten Seminare und entwickeln Informationen zu Gewaltschutz und häuslicher Gewalt und vieles mehr.

StoP- Stadtteile ohne Partnergewalt

Im Herbst 2018 startet der Verein AÖF mit dem neuen Projekt: StoP Stadtteile ohne Partnergewalt. Bei StoP handelt es sich um ein Gemeinwesen-orientiertes Nachbarschaftsprojekt zur Verhinderung von Partnergewalt.

Mit StoP möchten wir gute Nachbarschaften entwickeln, Gewalt und schwerere Gewalt verhindern bzw. gewaltfreie Beziehungen erreichen. Wir wollen Haltungen dahingehend ändern, dass sich Betroffene von Gewalt nicht mehr aus Angst und Scham verstecken müssen. Wir möchten Nachbarinnen und Nachbarn stärken und ermutigen, damit sie besser hinschauen und wissen, was sie bei Verdacht auf Gewalt tun können und wie sie Positives bewirken können.

StoP kann und soll bestehende Opferschutzarbeit nicht ersetzen, ganz im Gegenteil, es versteht sich als Ergänzung zu Arbeit der

  • Frauenhäuser,
  • Frauenberatungsstellen,
  • Frauenhelpline,
  • Interventionsstellen,
  • Opferschutzeinrichtungen und
  • Männerberatungsstellen.

Alle genannten Gewalt- und Opferschutzeinrichtungen werden bei der Implementierung von StoP eingeladen mitzuwirken.

Aus zahlreichen Studien, Projekten und Erfahrungen wissen wir, dass sich Menschen, insbesondere Nachbarinnen und Nachbarn, gerne engagieren und anderen Menschen helfen wollen. Viele wollen Zivilcourage leisten, aber viele wissen nicht genau wie. Hier möchten wir ansetzen und Nachbarinnen und Nachbarn motivieren, sensibilisieren und informieren, Gewalt aktiv zu unterbrechen und zu stoppen.

Ziel von StoP ist es, die Nachbarschaft durch Informations- und Aufklärungsarbeit, Veranstaltungen, Ausstellungen oder öffentlichkeitswirksamen Aktionen für die Anzeichen von häuslicher Gewalt zu sensibilisieren, die Isolation und das Schweigen zu brechen, praktische Unterstützung zu geben sowie die Interventionsbereitschaft und die Zivilcourage zu fördern.

Hintergrundinformationen über das Projekt StoP: Stadtteile ohne Partnergewalt

Das Konzept "StoP" wurde vor etwa zehn Jahren von Frau Professorin Dr.in Sabine Stövesand von der HAW Hamburg, Fakultät Wirtschaft und Soziales, Department Soziale Arbeit - in Hamburg entwickelt und ist seit 2010 in mehreren Stadtteilen in Hamburg und Dresden erfolgreich implementiert worden.

Bei StoP handelt es sich um Community Organizing, ein Konzept, das ursprünglich in den USA für verschiedene gesellschaftliche Themenbereiche (Armut, Wohnungslosigkeit, Drogen etc.) erfolgreich angewendet wurde und nun auch bei der Verhinderung von häuslicher Gewalt gute Wirkung zeigt. Um StoP in einem Stadtteil zu etablieren ist eine umfassende Ausbildung erforderlich, die von Frau Prof.in Stövesand geleitet wird.

Ohne diese Ausbildung ist es nicht gestattet, dieses Projekt umzusetzen. Mag.a Maria Rösslhumer vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser hat diese Ausbildung von Oktober 2017 bis Februar 2018 absolviert und ist nun berechtigt StoP in Wien umzusetzen.

Da der Verein AÖF seit 3 Jahrzenten in Margareten angesiedelt ist und eine gute Vernetzung und Kooperation mit vielen Vereinen und Organisationen besteht, soll in Margareten StoP als Pilotprojekt entstehen. Für die Implementierung benötigt es mindestens 2 Jahre und auch zeit- und ressourcenintensiv, wie die folgenden Handlungsschritte zeigen.

8 Handlungsschritte zur Umsetzung und Implementierung von StoP

StoP ist ein sehr umfangreiches Projekt und besteht aus 8 Handlungsschritten, die teilweise hintereinander, aber auch überschneidend und parallel durchgeführt werden müssen. Darüber hinaus ist auch eine wissenschaftliche Begleitung angedacht.
Siehe auch das Konzept von Hamburg.

1.) Trägerentscheidung: Ressourcenklärung und Erschließung

StoP wird von Frau Mag.a Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins AÖF gemeinsam mit einer Mitarbeiterin und in Kooperation mit ExpertInnen aus dem Gesundheits- und Opferschutzbereich und mit den Wohnpartnern in Wien und mit dem Verein Neunerhaus durchgeführt.

2.) Erkundung, erste Aktivierung im Gemeinwesen

Das ist ein sehr umfangreicher Arbeitsschritt. Darunter fällt eine umfassende Sozialraum-/ Stadtteilanalyse/bzw. Bezirksanalyse um herauszufinden, welche BewohnerInnen hier leben, welche Einrichtungen, Schulen, Spitäler, Verein und Unternehmen in Margareten angesiedelt sind. Welche Einzelpersonen und BewohnerInnen an diesem Projekt mitmachen wollen - als StoPlerInnen, als Schlüsselpersonen und als MultiplikatorInnen.

Das bedeutet, dass viele Menschen angeschrieben und informiert werden müssen und danach werden zahlreiche Gespräche und Interviews mit den MulitplikatorInnen und interessierten BewohnerInnen geführt. Diese Interviews und Gespräche müssen auch dokumentiert und analysiert werden.

Die Interviews dienen zur Informationsgewinnung:

  • über die soziale Lage der BewohnerInnen in Margareten, ihre Bereitschaft sich nachbarschaftlich zu engagieren bzw. die Erkundung über bereits vorhandenes Engagement und über soziale Interaktionen. Dabei handelt es sich um Schlüsselpersonen, die durch ihr Engagement auffallen oder aufgefallen sind. Es bedeutet auch, soziale Netzwerke in Margareten zu finden oder zu bilden um über Probleme und Ressourcen im Stadtteil zu sprechen, über die Haltung und Wahrnehmung zum Thema Partnergewalt und Gewalt in der Familie. Es gibt auch Fakten und Zahlen zum Gewaltvorkommen im Bezirk zu recherchieren und festzuhalten.
  • Öffentlichkeitsarbeit zum Gewaltthema: Flyer und Plakate und Give-aways und Informationsblätter müssen entwickelt und produziert werden. Und alle relevanten Gewaltschutz- und Opferschutzeinrichtungen müssen informiert und eingebunden werden.
  • die Ermöglichung von Lernprozessen Gemeinsam mit den MultiplikatorInnen und aktiven Schlüsselpersonen/BewohnerInnen werden Informationsveranstaltungen und Workshops geplant und durchgeführt.
  • Parallel dazu soll mit dem Beziehungsaufbau und der aktivierenden Befragung der BewohnerInnen begonnen werden: Es werden Interviews/aktive und direkte Befragung mit NachbarInnen – vor den Türen vorgenommen um mit den BewohnerInnen direkt in Kontakt zu kommen, dabei werden – StoP-Flyer ausgeteilt und es werden Gespräche mit den Bewohnerinnen und Bewohnern in den Wohnungen durchgeführt. Auch diese Interviews müssen dokumentiert und analysiert werden.

3.) Aufbau nachbarschaftlicher Aktionsgruppen: Gruppenbildung, Bewusstwerdung - und Bildungsarbeit, Partizipation und Empowerment, Aktionsplanung und Training

Nachbarschaftliche StoP Aktionsgruppen sollen gegründet werden - gemeinsam mit den MultiplikatorInnen und Schlüsselpersonen und interessierten NachbarInnen. Bei den Sitzungen der Aktionsgruppe soll das StoP vorgestellt werden und ein inhaltlicher Input über Partnergewalt abgehalten werden. Angedacht ist auch, ExpertInnen aus Hamburg einzuladen, um über ihre Erfahrungen zu berichten.

Die StoP Aktionsgruppen sind keine Selbsthilfegruppe, sondern Gruppen die selber aktiv werden, das bedeutet, dass sich Schlüsselpersonen und NachbarInnen ehrenamtlich engagieren und Aktivitäten und Initiativen gemeinsam mit der Koordination planen und selber durchführen. Freiwilligkeit ist oberste Priorität.

Die Aktionsgruppen sollten aus einer Frauengruppe, einer Männergruppe, und vielleicht auch aus einer Jugendgruppe bestehen. Es sollten "Frauentische" und "Männertische" und eventuelle "Jugendtische" entstehen. Zeitgleich müssen geeignete Räumlichkeiten für wöchentlich oder 14tägig stattfindende "Frauengruppen" und "Männergruppen" gefunden werden. Hier treffen sich die KoordinatorInnen gemeinsam mit den aktiven NachbarInnen, um laufend und kontinuierlich die Umsetzung von StoP zu besprechen und Aktivitäten zu planen.

4.) Stadtteilorientierte Öffentlichkeitsarbeit und weitere Aktivierung

Die Öffentlichkeitsarbeit wird auch einen Großteil der Arbeit ausmachen. Geplant sind regelmäßige Presseaussendungen, die Produktion von Videos über die Arbeit von StoP, Aufbau und Betreuung von eigenen Facebookseiten und sozialen Medien. Auch die Website von StoP muss laufend aktualisiert werden.

Nach dem Aufbau von nachbarschaftlichen Netzwerken müssen diese laufend betreut und gepflegt werden. Dazu gehört auch die Bewusstseinsarbeit an kulturellen Leitvorstellungen, Identitätsbegriffen und Kriterien der BewohnerInnen im Gemeinwesen.

5.) Kooperationen auf Stadtteilebene aufbauen und laufend koordinieren

Der Ausbau von Netzwerken und Kooperationen mit Organisationen, Vereinen, mit Politik und Verwaltung sowie mit Netzwerken im Bezirk Margareten muss gut aufgebaut, laufend reflektiert, überdacht und koordiniert und geplant werden. Derzeit besteht bereits eine gute Kooperation mit den Wohnpartnern und mit dem Amtshaus, mit Polizei, sowie mit einigen NGOs wie Station Wien, Lefö und mit dem Café Neunerhaus und vielen mehr.

6.) Individuelle Unterstützung für Gewaltbetroffene gewährleisten

Im Verein AÖF ist die bundesweite Frauenhelpline gegen Gewalt (Tel.: 0800/222 555) angesiedelt. Diese Nummer kann für konkrete Unterstützung für betroffene Frauen als auch für die StoPlerinnen und StoPler genützt werden.

Darüber hinaus ist eine enge Zusammenarbeit mit Hilfseinrichtungen im Bereich Opferschutz sehr wichtig:

  • Frauenhäusern,
  • Interventionsstellen,
  • Frauenberatungsstellen,
  • Männerberatungsstellen,
  • Polizei,
  • Kinderschutzeinrichtungen etc.

Diese sollen bei der Gründung der Aktionsgruppen eingebunden werden. Damit können wir vor allem NachbarInnen gut unterstützen und vor allem gewaltbetroffene Frauen und Kinder.

7.) Kontinuierliche, kleinteilige Beziehungs- und Organisationsarbeit

Die bereits erstellte Stadtteilerkundungsliste mit allen wichtigen MultiplikatorInnen, Schlüsselpersonen, aktiven NachbarInnen und interessierten NachbarInnen, Organisationen und Menschen soll und muss laufend ausgebaut und aktualisiert und upgedated werden, sodass eine kontinuierliche Beziehungsarbeit gepflegt werden kann.

Wichtig dabei ist, einzelne Personen im Sinne von Community Organizing zu gewinnen, sie laufend einzubinden und sie an einer aktiven Mitarbeit zu motivieren und sie zum richtigen Handeln gegen Partnergewalt zu ermächtigen. Diese sollten in der Lage sein, aktiv zu werden und Aktionen zu starten: z.B. Druckereien zu finden, die StoP-Informationsmaterialien nachzudrucken, Video Firmen zu finden, die kurze Spots für das StoP-Projekt entwickeln, die dann in Kino oder in TV oder Privatsendern gezeigt werden können, natürlich auch in den Sozialen Medien.

Gut wäre auch, wenn in der Bezirkszeitung laufend über StoP berichtet wird. Dafür benötigen wir viele AktivistInnen, die mit der Koordination und mit der Aktionsgruppe Presse- und Öffentlichkeitsarbeit durchführt.

Ein eigener Blog von StoP könnte eingerichtet werden, laufend könnten neue Plakate von der Nachbarschaftsarbeit produziert werden oder LeserInnenbriefe geschrieben werden. Regelmäßig stattfindende "Pressefrühstücke" sollten durchgeführt werden.

8.) Lobbyingarbeit, Politische Bündnisse, Politische Forderungen

Es müssen gemeinsam mit den BewohnerInnen und NachbarInnen politische Strategien zur Präventionsarbeit entwickelt werden. Die Verhinderung von Partnergewalt steht im Mittelpunkt von den StoP-Netzwerken und Aktionsgruppen von den "Frauen und Männer-Tischen". Dazu gehört auch gemeinsame politische Empfehlungen und Strategien zu entwickeln, die wenn erforderlich im Wiener Gemeinderat bzw. in den Gemeinderatssitzungen thematisieren werden können.

Die Verknüpfung von beiden Handlungsebenen ist sehr wichtig: Die Organisierung und politische Einmischung der NachbarInnen und die der Professionellen, bzw. der bestehenden Hilfseinrichtungen soll auf verschiedenen Ebenen und verschränkt passieren. Politische Netzwerke sind mehr als parteipolitische Zusammenarbeit. Es sollten auch parteipolitisch unabhängige Netzwerke sein.

Wissenschaftliche Begleitung von StoP

Das Projekt soll wissenschaftlich begleitet werden. Eine Zunahme und Verringerung von Partnergewalt lässt sich durch StoP nicht feststellen. Messbar ist jedoch, wie sehr das Projekt angenommen wird, wie hoch die Beteiligung von NachbarInnen ist, wie viele Aktivtäten NachbarInnen setzen, wie aktiv die MultiplikatorInnen sind? Ob eine Veränderung des Bewusstseins durch die Aktivitäten stattfindet, kann durch eine Evaluierung analysiert werden.

Informationen über den Verein AÖF und unseren Aktivitäten, Projekten und Schwerpunkte

Mag.a Maria Rösslhumer, Politikwissenschafterin, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser - AÖF, Leiterin der Frauenhelpline gegen Gewalt 0800/222 555, Vorstandmitglied des österreichischen Frauenrings (ÖFR). Von 1997 bis 2017 Geschäftsführerin des europäischen Netzwerks WAVE (Women Against Violence Europe). Koordinatorin der Plattform gegen die Gewalt in der Familie seit 1997 und Gesamtkoordination von StoP - Stadtteile ohne Partnergewalt.

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