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zusammenLeben ohne Gewalt

THEMEN 2021

"Gewalt ist eine Weltgeißel ..."

Portrait Mag.a Dr.in Elisabeth Mairitsch

Mag.a Dr.in Elisabeth Mairitsch

Expertinnenstimme

Mag.a Dr.in Elisabeth Mairitsch

Folgende Schlagzeilen waren kürzlich in einer österreichischen Tageszeitung zu lesen: 

„Jahrelanger Hass. Brutaler Mord an Ehefrau war wochenlang geplant'", (Krone Oberösterreich, 18. 1. 2021). Bei der Einvernahme durch die Polizei sagte der geständige Ehemann: „Ich hab' nichts gemacht, nur meine Frau getötet."

Wie kommt es zu solch erschütternden Vorkommnissen? Wie ist so eine Gewalttat sozial, psychologisch, im gesellschaftlichen Kontext einzuordnen, zu verstehen und, was besonders wichtig ist, in Zukunft zu verhindern?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) brachte 2002 erstmals einen „Weltbericht Gewalt und Gesundheit" (Krug u. a., 2002) heraus, in dem als Ergebnis einer Studie die Bedeutung unterschiedlicher sozialer Faktoren an der Entstehung von Gewalt, deren Auswirkungen auf Betroffene und Anregungen für die Gewaltprävention thematisiert werden.

In der Beschreibung der unterschiedlichen Erscheinungsformen von Gewalt wird diese von der WHO folgendermaßen definiert: Sie ist „der absichtliche Gebrauch von angedrohtem oder tatsächlichem Zwang oder physischer Macht gegen die eigene oder eine andere Person, gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft, der entweder konkret oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verletzungen, Tod, psychischen Schäden, Fehlentwicklungen oder Deprivation führt."

Faktoren von Gewalthandlungen auf unterschiedlichen Ebenen

Gewalthandlungen haben unterschiedliche Adressaten sowie Schweregrade und stets darauf zurückzuführende negative Prägungen von Körper, Geist und Seele; fest steht auch, dass zur Genese von Gewalt mehrere Faktoren beigetragen haben, die sich auf unterschiedlichen Ebenen manifestieren, miteinander in Beziehung stehen, einander sowohl positiv als auch negativ wechselseitig beeinflussen und im Folgenden beschrieben werden:

Auf individueller Ebene

Auf individueller Ebene werden die jeweiligen biologischen und entwicklungsbezogenen Faktoren betrachtet, die dazu führen, dass ein Mensch Gewaltopfer oder -täter wird. Wichtige demographische Faktoren sind Geschlecht, Alter, Bildung, Einkommen, etc.

Das eingangs thematisierte Gewaltopfer ist eine Frau, die ihr Leben durch die Hand ihres Partners verloren hat. Es handelt sich dabei um einen Frauenmord, einen Femizid. Diesen Begriff prägte die Soziologin und feministische Aktivistin Diana Russell, die 1976 in Brüssel das erste internationale Tribunal über Verbrechen gegen Frauen veranstaltet hat. Femizid bezeichnet die „von Männern begangene Tötung von Frauen, weil sie weiblich sind". Diesem Phänomen liegt eine manifeste Frauenfeindlichkeit zugrunde, vergleichbar mit rassistisch motivierten „Hassverbrechen", die als Manifestationen von männlicher Dominanz und Sexismus zu verstehen sind. Im österreichischen Rechtssystem findet dieser Tatbestand bislang keine adäquate Benennung.

Neben dem Geschlecht sind auch Bildungsdefizite, niedere Einkommen, Substanzenmissbrauch, Perspektivenlosigkeit als weitere potentielle Risikofaktoren zu nennen, die Menschen entweder zum Opfer oder zum Täter werden lassen.

Auf der Beziehungsebene

Auf der Beziehungsebene stehen die engen zwischenmenschlichen Beziehungen zur Familie, zu FreundInnen, IntimpartnerInnen, Gleichaltrigen, etc. im Fokus der Betrachtungen. Auf dieser Ebene, in Beziehungskonstellationen, kommt es zu besonders schweren, häufig vorkommenden Gewalttaten, wie auch im oben erwähnten Fallbeispiel des Mordes an der Ehepartnerin.

Der Femizid steht nicht am Beginn einer Gewalttat, davor kommt es zu Kränkungen, Demütigungen, zur Dehumanisierung des Opfers, Misstrauen, Kontrolle und manifester Psychoterror sind Mechanismen einer disfunktionalen Gewaltbeziehung. Es handelt sich dabei um eine asymmetrische Beziehung mit Dominanzverhalten und erwarteter Unterordnung, das Liebesobjekt wird als Besitz gesehen, weshalb eine Trennung nicht akzeptiert werden kann und als massive, für das Opfer gefährliche, Kränkung empfunden wird.

In den letzten Jahren kam es zu einer Zunahme von Gewalttaten im intimen Beziehungsbereich (lt. Statistik Austria). Erklärungsversuche sind vielfältig, verweisen auf eine allgemeine Individualisierungstendenz der Individuen und damit einhergehendem Egoismus, Verlust von Kontrolle und sozialer Sicherheit. Das Entwickeln von Beziehungsfähigkeit erfordert hingegen Selbstvertrauen, Zeit, Aufmerksamkeit, Geduld, Wertschätzung, solidarisches Verhalten, Empathie und Einfühlungsvermögen.

Erich Fromm beschreibt die Beziehungsfähigkeit als „Kunst des Liebens", die sich vor allem in der wechselseitigen Fürsorge, einem aufrichtigen Gefühl von Verbindlichkeit und Verantwortung sowie einer intensiven Kenntnis des Beziehungspartners bzw. der -partnerin zeigt.

Auf der Gemeinschaftsebene

Auf der Gemeinschaftsebene geht es um soziale Beziehungen im weiteren Umfeld der Menschen, wie Schulen, Arbeitsplätze, Nachbarschaften, Vereinsmitgliedschaften, etc., die entweder entlastende Funktionen darstellen oder das Gewaltrisiko erhöhen können.

Als besonderes Gefährdungspotential kann die aktuell prekäre Situation am Arbeitsmarkt gesehen werden, ökonomische Zwänge erhöhen den Druck auf Individuen und schaffen Abhängigkeiten, an die zwischenmenschlichen Beziehungen werden hohe Erwartungen gestellt, Familien und Partnerschaften werden damit überfordert.

Frustration und Druck sind der Nährboden für Erschöpfung, Resignation oder Aggression, die letztendlich zu Gewalthandlungen führen können.

Auf der gesellschaftlichen Ebene

Auf der gesellschaftlichen Ebene geht es um Faktoren und Haltungen, die ein Gewalt förderndes oder ein Gewalt ächtendes Klima schaffen, wie soziale und kulturelle Normen, Traditionen, Gesundheits-, Wirtschafts- und Bildungspolitik, wirtschaftliche und soziale Verteilungsgerechtigkeiten, Rolle der Medien, etc.

Die Ächtung der Gewalt durch Gesetze war wesentlich für das Schaffen von öffentlichem Unrechtsbewusstsein, wie z. B. das Gewaltschutzgesetz in Österreich 1997, das Schutz vor Gewalt in der Familie im Wohnbereich und im sozialen Nahraum gewähren soll und u. a. die Möglichkeit der Wegweisung des Gewalttäters, die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung sowie die Vergewaltigung in einer Beziehung zum Thema machte. Davor standen patriarchale Traditionen der Selbstbestimmung diametral entgegen.

Derzeit steht die Gesellschaft im Banne einer Pandemie, einer kritischen Situation, von der besonders Frauen in der Vereinbarung von Familie und Beruf betroffen sind. Die deutsche Soziologin Jutta Allmendiger (2021) spricht von einer „entsetzlichen Re-Traditionalisierung", die Frauen in der Corona-Krise erleiden und die nur gemeinsam mit dem Partner konstruktiv zu bewältigen ist, indem das Erreichen der Geschlechtergerechtigkeit in Bezug auf unbezahlte Care-Arbeit und Berufstätigkeit zum gemeinsamen Ziel erklärt wird.

Vorschläge zur Gewaltprävention

Interventionen sind auf allen oben genannten Ebenen notwendig, wie

  • Stärkung der Persönlichkeit der einzelnen Menschen durch unterschiedliche Empowerment-Maßnahmen,
  • Instrumente der gewaltfreien Kommunikation kennen lernen, dadurch
  • Dialog- und Konfliktfähigkeit gewinnen,
  • bisherigen Dominanzmodus durch argumentativen Verhandlungsmodus ersetzen,
  • Angebote in allen Bildungseinrichtungen, Erwachsenenbildung,
  • solidarisches Verhalten zeigen,
  • zur Zivilcourage im Alltag ermutigen,
  • Präsenz und Informationen in sozialen Medien, etc.

Von großer Bedeutung ist ein niederschwelliger Zugang zu 

  • Einrichtungen des Gewaltschutzes,
  • Frauen- und Familienberatungsstellen,
  • Frauenhäusern,
  • juristischen Beratungen,
  • Präsenz dieser Einrichtungen auch in sozialen Medien, etc.

Besondere Verantwortung tragen Medien in der Berichterstattung: reißerische Darstellung von Gewalttaten sind kontraproduktiv, Tat soll geächtet und Tätern keine heroisierende Bühne geboten werden, sondern verbaler oder physischer Gewalteinsatz als toxische Männlichkeit analysiert, stigmatisiert und kritisiert werden. Im Gegensatz dazu sollten Folgen von Gewalterfahrungen thematisiert und nicht bagatellisiert werden, zudem Beispiele prosozialen Verhaltens in der Gesellschaft gezeigt werden, etc.

Wesentlich für den Umgang mit dem Thema Gewalt ist das Bewusstsein, dass jede/r in seiner/ihrer Lebenswelt durch seine/ihre achtsame, konstruktive Haltung einen Beitrag zur Veränderung unserer Gesellschaft beitragen kann, denn:

„Gewalt ist eine Weltgeißel, die das Gefüge von Gemeinschaften zerreißt und Leben, Gesundheit und Glück von uns allen bedroht." (WHO)

Mag.a Dr.in Elisabeth Mairitsch, Psychotherapeutin (Psychodrama), Diplompädagogin, Mitarbeiterin am universitären EU-Projekt "Daphne-Empowerment" für Frauen mit Gewalterfahrungen (2011-2013), Mitarbeiterin am Institut für Familienberatung und Psychotherapie der Caritas Wolfsberg (2000-2012), Mitarbeiterin an Frauen- und Familien­beratungsstelle WIFF Völkermarkt (1995-2020).

Literatur

  • [1] Mann, B.: Gewalt und Gesundheit: epidemiologische Daten, Erklärungs­modell und public-health-orientierte Handlungs­empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). In: Sozialwissenschaften und Berufspraxis, 29(1), 81-91., 2006

NDR Beitrag - Jutta Allmendinger über Ihr Buch "Es geht nur Gemeinsam"
"Wie wir endlich Geschlechtergerechtigkeit erreichen" (Jutta Allmendinger) Während der ersten Corona-Welle stellte Jutta Allmendinger fest, es sei eine "entsetzliche Re-Traditionalisierung", die Frauen während Corona erleiden. In ihrem Buch "Es geht nur gemeinsam" untermauert sie ihre Thesen.