Die 7 gewaltpräventiven Botschaften an Kinder/Jugendliche

Dieser Bericht gibt Einblicke in die Präventionsbotschaften an Kinder und Jugendliche. Es wird betont, dass aber vor allem die Erwachsenen die Verantwortung für den Schutz von Kindern tragen, sie müssen sich für diese stark machen, sich informieren und weiterbilden und ein Umfeld schaffen, in dem Gewalt keinen Platz hat.

Autorin: Mag.a Dr.in Yvonne Seidler, Mediatorin, Supervisorin, Erwachsenenbildnerin und Lektorin an der KF Universität Graz, Geschäftsführung und pädagogische Leitung des Vereins Hazissa

Thema Juli 2019

Die zweite Frauenbewegung in den 1970-er Jahren und erste Erkenntnisse zu Ausmaß und Häufigkeit sexueller Gewalt an Frauen ermöglichten Notruf- und Beratungsstellen und Frauenhäuser. Neben Soforthilfe und Schutz vor sexueller Gewalt standen auch politische Forderungen auf der Agenda.

Gleichzeitig wurden erste Überlegungen angestellt, wie es gelingen könnte, der Gewalt vorzubeugen.
Das folgende Plakat aus den 1970-er Jahren zeugt von den Hoffnungen, die damit verbunden waren: wenn es nur gelänge, Frauen so widerstandsfähig und stark zu machen, dass sie selbst alle Angriffe abwehren könnten, würden wir das Problem in den Griff bekommen!

Plakat "Entwaffnet Vergewaltiger", 1974, Bild: Archiv FFBIZ, Berlin

Diese Botschaften an Frauen wurden Ende der 1980-er Jahre auch für Kinder adaptiert, und Gisela Braun (1989) formulierte folgende 7 Präventionsbotschaften, die heute noch weit verbreitet und Grundlage vieler präventiver Maßnahmen sind:

  1. Dein Körper gehört dir!
  2. Du hast das Recht, nein zu sagen!
  3. Es gibt angenehme und unangenehme Berührungen.
  4. Vertrau deinen Gefühlen!
  5. Es gibt gute und schlechte Geheimnisse.
  6. Du bist nicht schuld!
  7. Du hast das Recht auf Hilfe.

Was diese Botschaften heute immer noch so wertvoll macht, ist eine grundsätzliche Haltung des Empowerments, der Stärkung des Selbstvertrauens von Kindern und Jugendlichen und die Klarstellung: du bist nicht schuld und Du hast das Recht auf Hilfe!

Tatsächlich haben diese Bemühungen seit den 1970-er Jahren Früchte getragen: Schutzeinrichtungen wurden gegründet, gesetzliche Grundlagen des Opferschutzes wurden geschaffen, Kinderrechte umgesetzt sowie Sensibilisierungs- und Informationsangebote und Aus- und Weiterbildungs­maßnahmen gesetzt. So konnte das Ausmaß sexueller Gewalt an Kindern binnen einer Generation um rund die Hälfte reduziert werden, wie die Österreichische Prävalenzstudie deutlich macht (vgl. ÖIF, 2011)

Sexuelle Gewalt in der Kindheit
Gruppe Kinder der 1960-er Jahre Kinder der 2000-er Jahre
Mädchen und junge Frauen 41% 20%
Buben und Burschen 20% 6%

Rückblickend waren es wohl vor allem politische Errungenschaften gesetzlicher und struktureller Veränderungen, die den Schutz von Kindern maßgeblich verbessert haben. Die Erfahrungen und der Wissenszuwachs unter ProfessionistInnen durch stärkere Orientierung an wissenschaftlichen Erkenntnissen, z. B. aus der Traumatologie oder den Präventionswissenschaften, haben zum Kinderschutz beigetragen und tragen auch weiterhin zu dessen Entwicklung und Verbesserung bei. (Vgl. z.  B.: Damrow 2006, Kindler&Schmid-Ndasi 2011, Fegert et al 2015, Schrenk&Seidler 2018)

Was bleibt also von unseren Präventionsbotschaften aus den 1980-er Jahren?

Einige der Botschaften müssen wir tatsächlich sehr kritisch hinterfragen. Wir wissen mittlerweile, dass es nicht die "bösen Fremden" sind, sondern dass gerade im frühen Kindesalter sexuelle Gewalt zu rund 95 % im familiären und engsten sozialen Umfeld passiert. Dem gegenüber stehen rund 5 % Fremdtäter - wenn man der Kriminalstatistik Glauben schenken darf. (Vgl. BMI 2019)

Berücksichtigt werden muss nämlich, dass Fremdtäter häufiger angezeigt (und auch verurteilt...) werden, während die Anzeigebereitschaft im familiären oder sozialen Umfeld geringer ist. Bedenkt man nun diesen engen sozialen Kontext der Gewalttaten, die Bindung, die Abhängigkeit und das Ausgeliefert sein der betroffenen Kinder, klingen unsere Präventionsbotschaften "Du hast das Recht Nein zu sagen!" oder "Dein Körper gehört dir!" plötzlich sehr einfältig.

Wie soll ein Kind, das von seinen Vertrauenspersonen abhängig ist, das manipulativ und schrittweise in übergriffige Handlungen verwickelt wurde, dessen "Nein" nicht respektiert wurde oder wird, sich selbst schützen? Was, wenn es den Täter auch liebt und nicht "Nein!" sagen kann?

Bei anderen Formen von Gewalt wie beispielsweise schweren körperlichen Misshandlungen würde uns nicht einfallen, dass es helfen könnte, dem Kind ein "Nein-sage-Lied" beizubringen, sondern es wäre klar, dass Erwachsene den Schutz des Kindes sicher stellen und den Täter stoppen müssen.

Verantwortung für den Kinderschutz darf niemals bei den Kindern liegen, das wäre eine völlige Überforderung!

Kinder müssen nicht lernen, nein zu sagen. Sie können es! Stattdessen müssen wir Erwachsenen lernen, ihr Nein (oder ihr Ja!) zu akzeptieren und echte Mit- und Selbstbestimmung zuzulassen und zu fördern. Das stärkt Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit am nachhaltigsten.

Auch eine Differenzierung zwischen angenehmen und unangenehmen Berührungen, die Kinder treffen sollen, trägt nicht wirklich zum Schutz bei. Missbrauch kann sich auch angenehm anfühlen, oder in angenehme Situationen eingebettet sein. Was dann? Missbrauch ist nicht eindeutig schwarz oder weiß, sondern spielt sich viel häufiger in einem für Kinder schwer durchschaubaren Graubereich ab.

Auch seinen Gefühlen zu vertrauen kann trügerisch sein. Täter gehen manipulativ und gezielt vor und verwirren die Gefühlswelt der Kinder und: Gefühle können auch täuschen! Nicht immer sind unsere Gefühle ein unfehlbarer Wegweiser, sondern gerade im Kindes- und Jugendalter eher mit einer Berg- und Talbahn vergleichbar denn mit einer ruhigen Landstraße.

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass es gut ist und Sinn macht Kinder zu stärken, dazu können auch die Präventionsbotschaften beitragen. Trotzdem bleibt die Verantwortung für den Schutz von Kindern ganz bei den Erwachsenen. Diese müssen sich stark machen für Kinder, sich informieren und weiterbilden und ein Umfeld schaffen, in dem Gewalt keinen Platz hat.

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