Definition Gewalt mit dem Fokus auf Familie und den sozialen Nahraum

Eine umfassende und allgemeingültige Definition von Gewalt in der Familie liegt nicht vor. Je nach politischem, ideologischem und sozialem Hintergrund wird der Begriff der Gewalt anders verstanden und gefasst (u. a. Loidl 2013, Heitmeyer & Hagen 2002b, Imbusch 2002). Auch in der Forschung wird je nach Vorgehensweise, Fragestellung, etc. eine andere Definition von Gewalt angewendet und erschwert eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse, Zahlen und Fakten.

Allerdings besteht ein breiter Konsens, dass unter Gewalt in der Familie und dem sozialen Nahraum unterschiedliche Formen von interpersoneller Gewalt diskutiert werden, u. a. ewalt gegenüber Partner:innen, Gewalt von Eltern an Kindern und Jugendlichen, Gewalt zwischen Geschwistern, Gewalt gegen ältere Menschen in der Familie (Cierpka 2012, BMSG 2001). In Bezug auf die unterschiedlichen Ausprägungen interpersoneller Gewalt besteht in der Gewaltdiskussion deutlich mehr Einigkeit. Als Grundlage wird häufig auf die Typologie der Gewalt der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verwiesen. Grundsätzlich unterteilt diese Gewalt gegen die eigene Person, gegen andere Personen (interpersonal) und kollektive bzw. strukturelle Gewalt auf einer gesellschaftlichen Ebene. Grundsätzlich unterscheidet diese Typologie vier unterschiedliche Formen in der Gewalt ausgeübt wird: die physische, sexuelle, psychische/bzw. auch emotionale Gewalt und die Vernachlässigung (siehe Krug et al. 2002).

Definition Gewalt Abbildung
Quelle: eigene Übersetzung, nach Krug et al. 2002: 1084

Um die Breite der unterschiedlichen Gewaltformen zu illustrieren, werden unterschiedliche Formen der Gewalt, die mal mehr und mal weniger stark diskutiert und beforscht werden, beispielhaft vorgestellt, nicht im Sinne einer eindeutigen Definition der jeweiligen Form:

  • Psychische Gewalt, die ein breites Spektrum unterschiedlicher Gewalthandlungen umfasst, z. B. Drohungen sowie bedroht werden, Liebesentzug, verletzende verbale Äußerungen, Stalking, Mobbing, Abwendung bzw. Ablehnung, emotionales Erpressen, Terrorisieren oder Isolieren.
  • Körperliche bzw. physische Gewalt, bei der es von leichten bis schweren Formen der körperlichen Gewalt geht, z. B. kneifen, treten, festhalten, Ohrfeige, Schläge, Schläge mit einem Gegenstand, Verbrühungen sowie Verbrennungen, Schnitt- sowie Schussverletzungen, Quetschungen.
  • Sexuelle bzw. sexualisierte Gewalt, häufig auch unterteilt in die sexuelle Belästigung und die sexuelle Gewalt. Sexualisierte Gewalt umfasst viele Handlungen, z. B. sexuelle belästigende Bemerkungen und Blicke, exhibitionistische Handlungen, absichtliche Berührungen, auch über der Kleidung, verbale sexuelle Belästigungen, das Zeigen von Pornografie, sexuelle Handlungen gegen den eigenen Willen, vollzogene oder versuchte erzwungene Penetration (oral, anal, vaginal).
  • Körperliche und psychische Vernachlässigung, z. B. durch Unterlassung von medizinischer Hilfe oder Sicherheitsmaßnahmen, wiederholte und andauernde Unterlassung des fürsorglichen Handelns von Eltern bzw. sonstigen mit der Erziehung von Kindern beauftragten Personen.
  • Hate Crime bezeichnet Gewalt bzw. Straftaten, die durch Vorurteile motiviert sind, aufgrund der tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die die Täter:innen ablehnen (auch als vorurteilsmotivierte Straftaten, Hasskriminalität bezeichnet). Es geht um Gewalthandlungen die z. B. durch Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, religiöse Intoleranz oder durch Vorurteile gegenüber der Geschlechtsidentität, der sexuellen Ausrichtung, der Behinderung motiviert sind.
  • Soziale Gewalt wie die Einschränkungen im sozialen Leben betont, wie z. B. Bevormunden, Verbote oder strenge Kontrolle von Kontakten.
  • Ökonomische Gewalt, wie z. B. eine alleinige Verfügungsmacht über finanzielle Ressourcen, Arbeitsverbot oder auch Zwang zur Arbeit, Einbehalten des Lohns, Vorenthalten von finanziellen Informationen, jemanden dazu zu bringen etwas für einen andern zu kaufen oder Rechnungen zu bezahlen.
  • Fötale Gewalt, die sowohl Gewalthandlungen gegen das ungeborene Kind beinhaltet (z. B. Suchtmittelmissbrauch, bewusste Schläge etc. in den Bauch) als auch Gewalthandlungen gegen die schwangere Frau, z. B. Tritte in den Bauch, stoßen.
  • Digitale Gewalt, die alle Formen von Gewalt umfasst, die auf technische Hilfsmittel oder digitale Medien zurückgreift, sowie Gewalt im digitalen Raum (z. B. bei Online-Spielen, Chatforen, Sozialmedia). Unter anderem Gerüchte und beleidigende Kommentare über das Internet zu veröffentlichen und zu verbreiten, jemanden über E-Mail, WhatsApp oder anderem beschimpfen oder bedrohen oder einschüchtern. Aber auch wenn z. B. Informationen im Internet manipuliert werden, private bzw. intime Bilder veröffentlicht und weitergeleitet werden, Veröffentlichung privater Information über eine Person im Internet oder auch falsche Profile über einen von anderen Personen angelegt bzw. verwendet werden.
  • Stalking verstanden als Erlebnisse, bei denen man ungewollt kontaktiert, beobachtet oder verfolgt wird. Stalking ist in Österreich seit 2006 durch das Anti-Stalking-Gesetz strafrechtlich verfolgbar. Stalking umfasst z. B. unerwünschte Anrufe, Briefe, SMS- oder WhatsApp-Nachrichten, die Veröffentlichung privater sowie intimer Bilder und Tatsachen oder auch die Beauftragung Dritter über jemanden Informationen einzuholen, das Verbreiten von Gerüchten oder auch das „Abpassen“ und Bedrohungen, heimliche Beobachtung bzw. Überwachung über Kameras oder Mikrofone, bis hin zu körperlichen Gewalttätigkeiten und sexuellen Übergriffen.