Gewalt gegen ältere Frauen: Prävention durch koordinierte, multiinstitutionelle Zusammenarbeit

Der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) befasst sich seit über zehn Jahren im Rahmen von EU-Projekten (TISOVA, WHOSEFVA, MARVOW, MARVOW 2.0) mit der Analyse von Herausforderungen und Lücken sowie der Entwicklung von Empfehlungen und Maßnahmen zur Verbesserung der Gewaltprävention für ältere Frauen – sowohl in Österreich als auch auf europäischer Ebene. Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse aus dem jüngsten Projekt MARVOW 2.0 zusammengefasst: ein Überblick über die Datenlage, die spezifischen Herausforderungen und die im europäischen Verbund erarbeiteten Lösungsansätze.
Autorin: Mag.a Martina Knoll, MA, EU-Projektmanagerin und Teamleiterin der Informationsstelle gegen Gewalt im Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser
Thema Oktober 2025
Gewalt im Alter ist ein komplexes, häufig unterschätztes und bislang weniger erforschtes Phänomen. Eine Analyse internationaler Studien zur Gewalt gegen ältere Menschen – sowohl Frauen als auch Männer – zeigt, dass 15,7 % der älteren Bevölkerung Gewalt erfahren haben (Yon, Y, et.al. 2017) [1]. Weltweit ist etwa jede sechste Person über 60 Jahren betroffen (WHO, 2022) [2]. Die tatsächlichen Zahlen dürften jedoch deutlich höher liegen, da lediglich rund einer von 24 Fällen gemeldet wird (WHO, 2022) [3].
Mit zunehmendem Alter sind besonders Frauen einem höheren Risiko ausgesetzt, Opfer von Gewalt zu werden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sie sowohl aufgrund ihres Geschlechts als auch ihres Alters als besonders verletzlich einzustufen sind. Zudem haben sie häufig bereits über einen längeren Zeitraum hinweg Gewalt durch ihren Partner erlebt. In vielen Fällen sind sie finanziell von ihrem Partner oder ihrer Familie abhängig. Armut im Alter verstärkt diese Abhängigkeit zusätzlich, insbesondere in Verbindung mit Pflegebedürftigkeit. Gewalt gegen ältere Frauen manifestiert sich demnach vielfach in einer Kombination diverser Gewaltformen, die oftmals simultan auftreten. Gleichzeitig besteht ein Mangel an spezialisierten Unterstützungsangeboten, die auf die spezifischen Bedürfnisse dieser Gruppe eingehen. Zudem werden Täter in zahlreichen Fällen kaum zur Rechenschaft gezogen.
Eine intersektionale Perspektive ist hierbei von besonderer Bedeutung. Gewalt gegen ältere Frauen ist häufig an der Schnittstelle mehrerer Diskriminierungsformen angesiedelt. Sexismus, Altersdiskriminierung, Ableismus, und in vielen Fällen auch Rassismus oder Klassismus. Ältere Frauen sind damit einer Gewalt ausgesetzt, die ihren Ursprung in tief verankerten, gesellschaftlichen Überzeugungen findet, dass ihr Leben weniger wertvoll sei. Diese Gewalt kann sich auf unterschiedliche Weise äußern: von häuslicher Gewalt über Gewalt innerhalb von Organisationen bis hin zu struktureller Gewalt, die ältere Frauen aus Unterstützungssystemen ausschließt.
Im MARVOW 2.0 Projekt, auf das wir in weiterer Folge näher eingehen, liegt unser Fokus auf älteren Frauen, die Opfer von Gewalt durch einen Intimpartner oder ein Familienmitglied werden, also häusliche Gewalt erfahren. Zusätzlich wird auch das Risiko von Gewalt durch Pflegekräfte und Betreuer:innen im privaten Umfeld oder in Senioreneinrichtungen berücksichtigt.
Bislang ist die Datenlage zu Gewalt gegen ältere Frauen äußerst lückenhaft, da nur wenige Studien dieses Thema systematisch untersucht haben. Bevor wir die Häufigkeit von Gewalt gegen ältere Frauen beleuchten, ist zunächst eine klare Definition des Begriffs erforderlich. Gewalt gegen ältere Frauen bezieht sich auf jede geschlechtsspezifische Gewalthandlung, die zu körperlichen, sexuellen oder psychischen Schäden oder Leiden bei Frauen im Alter von 60 Jahren und älter führt oder führen kann, einschließlich der Androhung solcher Handlungen, Nötigung oder willkürlicher Freiheitsberaubung, unabhängig davon, ob solche im öffentlichen oder privaten Bereich stattfindet. Dazu können auch finanzieller Missbrauch, Ausbeutung oder Entzug von Ressourcen, Vernachlässigung und Verlassen gehören (The World Bank, 2016, vgl. MARVOW 2.0. D2.2, 2024) [4].
Vorliegende Daten deuten darauf hin, dass Gewalt gegen ältere Frauen in Europa ein ernstzunehmendes gesellschaftliches Problem ist. In der Europäischen Union machen Frauen über 60 Jahre rund 31 % der Bevölkerung aus, und ihre durchschnittliche Lebenserwartung lag 2022 bei rund 84 Jahren (EUROSTAT, 2022) [5]. Die jüngste EU-Erhebung zur geschlechtsspezifischen Gewalt wurde im Jahr 2024 von Eurostat und der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) durchgeführt. Allerdings erfasst sie nur Frauen bis zum Alter von 74 Jahren – ein methodisches Problem, durch das ein erheblicher Teil der älteren weiblichen Bevölkerung unberücksichtigt bleibt. Die Ergebnisse zeigen, dass 26,1 % der Frauen zwischen 65 und 74 Jahren im Laufe ihres Lebens Gewalt durch einen Intimpartner erfuhren und 8,1 % ökonomische Gewalt durch einen Intimpartner erfahren haben (EUROSTAT, FRA, EIGE 2024) [6]. Im Vorgängerbericht aus dem Jahr 2014 wurden die verschiedenen Gewaltformen gegen ältere Frauen detailliert erfasst. Häufig wurden emotionale Gewalt (23,6 %) und finanzielle Gewalt (8,8 %) genannt, gefolgt von der Verletzung von Rechten (6,4 %) und Vernachlässigung (5,4 %). In geringerem Ausmaß wurden auch sexuelle Gewalt (3,1 %) und körperliche Gewalt (2,5 %) angegeben (FRA, 2014) [7].
Eine andere ältere, vertiefende Studie zeigte, dass 19 % der über 60-jährigen Frauen von Intimpartnergewalt betroffen waren, jedoch lediglich 14 % der Polizei schwere Gewaltvorfälle meldeten (Luoma, M.-L. et al., 2011) [8]. Die Diskrepanz lässt eine hohe Dunkelziffer in diesem Bereich vermuten. Ähnliches ist auch in Österreich zu beobachten. Zwar zeigen Erhebungen, dass 23,8 % der über 60-jährigen Frauen, die in privaten Haushalten leben, mindestens eine Form von Gewalt erlebt haben (Lang, 2014) [9]. Im Vergleich dazu wird nur eine relativ geringe Zahl von Kontakten zu Opferschutzeinrichtungen verzeichnet. So waren im Jahr 2024 5,4 % [10] der Anruferinnen bei der Frauenhelpline über 60 Jahre alt, im Gewaltschutzzentrum Wien lag der Anteil der Klientinnen dieser Altersgruppe bei 4,5 % [11] und in den Autonomen Österreichischen Frauenhäusern machten sie lediglich 2 % [12] der Bewohnerinnen aus. Diese Gegenüberstellung verdeutlicht, dass viele betroffene ältere Frauen die vorhandenen Unterstützungsangebote nicht erreichen oder nicht nutzen.
Weiters lässt sich ableiten, dass Gewalt gegen ältere Frauen häufig unerkannt bleibt und somit nicht rechtzeitig verhindert werden kann – mitunter mit tödlichen Folgen. In Österreich zeigt sich dies besonders deutlich an den Zahlen der Femizide. Der Verein AÖF dokumentiert diese anhand einer systematischen Medienauswertung. Demnach betrafen im Jahr 2019 14% aller Femizide Frauen ab 60 Jahren. 2020 stieg der Anteil auf 33 %, 2021 lag er bei 29 %, 2022 bei 34 % und 2023 bei 30 %. Im Jahr 2024 erreichte der Anteil 52 % und im September 2025 lag er bei 60 % für das aktuelle Jahr (AÖF, 2025) [13]. Die Entwicklung verdeutlicht die Gefährdungslage älterer Frauen und unterstreicht die Dringlichkeit gezielter Präventions- und Schutzmaßnahmen.
Die Prävention von Gewalt gegen ältere Frauen sowie die Unterstützung von betroffenen Frauen sind strukturell mit einer Reihe von Herausforderungen verbunden, wie Untersuchungen im Rahmen der MARVOW Projekte zeigten [14]. Betroffene wenden sich insgesamt selten an Opferschutzeinrichtungen oder Hilfsdienste, und Frauenhäuser verfügen in vielen Fällen nicht über adäquate Aufnahmeeinrichtungen für ältere Frauen mit Pflegebedarf. Zudem sind knappe Ressourcen und Kapazitäten, fehlende Schulungen zum Thema Gewalt gegen ältere Frauen für Fachkräfte aller Fachbereiche sowie der Einsatz von Risikobewertungsinstrumenten, die nicht auf die spezifische Zielgruppe zugeschnitten sind, zu konstatieren. Traditionelle patriarchalische Geschlechterrollen sowie familiäre Abhängigkeiten zwischen Opfern und Tätern oder Betreuenden erschweren die Situation zusätzlich. In vielen Fällen sind klare Prozesse und Verfahren im Umgang mit Fällen von Gewalt gegen ältere Frauen nicht vorhanden oder aufgrund verschiedener Mängel in der Praxis nicht umgesetzt. Zudem werden diese selten dokumentiert oder ausgewertet. Auch die sogenannte "Pflegekrise", der Personal- und Ressourcenmangel im Gesundheitsbereich trägt zur Verschärfung der Problematik bei.
Die Arbeit mit den Tätern stellt eine weitere zentrale Aufgabe dar. Es bestehen Defizite hinsichtlich der Möglichkeiten des Umgangs und der Unterbringungsmöglichkeiten mit älteren Gewalttätern, insbesondere für Täter mit Pflegebedarf. In der Konsequenz bleiben Tätermaßnahmen oftmals unzureichend, was den Schutz älterer Frauen zusätzlich schwächt.
Die Vielzahl der Herausforderungen macht deutlich, dass umfassendere und besser abgestimmte Maßnahmen erforderlich sind, um Gewalt gegen ältere Frauen wirksam zu verhindern und betroffene Frauen angemessen zu unterstützen. An diesem Punkt setzte das EU-Projekt "MARVOW – Multi-Agency Response to Violence Against Older Women" (2019–2022) an. Der Titel spiegelt den zentralen Ansatz wider: Fälle von Gewalt gegen ältere Frauen berühren zahlreiche Institutionen und Berufsgruppen, darunter das Gesundheitswesen, Opferschutzeinrichtungen, die Täterarbeit, die Polizei, die Justiz und die Pflege. Für eine wirksame Prävention und Intervention ist eine koordinierte Zusammenarbeit dieser Akteurinnen und Aktuere notwendig. Dafür müssen klare Strukturen und Abläufe geschaffen werden. Ergänzend ist eine stärkere Sensibilisierung sowohl der Fachöffentlichkeit als auch der breiten Bevölkerung notwendig, um das Thema sichtbarer zu machen. MARVOW verfolgte dabei vor allem das Ziel, das Bewusstsein für Gewalt gegen ältere Frauen zu schärfen. Zu diesem Zweck wurde ein eigenes Training entwickelt, das auf den Ergebnissen des Vorgängerprojekts "WHOSEFA – Working with Healthcare Organizations to Support Elderly Female Vicitms of Abuse" aufbaut und diese weiterführt [15]. Zudem entstand im Rahmen des Projekts ein erstes MARVOW-Modell, das eine nachhaltige Verbindung von Einzelfallmanagement mit einer systemweiten, multiinstitutionellen Zusammenarbeit herstellt. Es ermöglicht eine gezielte, abgestimmte Reaktion im komplexen Gefüge verschiedener Institutionen. Grundlage des Modells ist die Verknüpfung von Multi-Agency Risk Assessment Conferences (MARAC) und dem Ansatz des Coordinated Community Response (CCR) [16]. Im MARVOW-Modell dienen Fallkonferenzen nicht nur dem Schutz spezifischer Frauen, sondern zeigen auch Lücken im System auf. Diese werden von den Entscheidungsträger:innen in den Steuerungsgruppen überarbeitet, um nachhaltige Änderungen des Systems zu erreichen und einen besseren Schutz für alle Frauen zu gewährleisten.

Sämtliche entwickelten Materialien sind über die Projektwebsite marvow.eu abrufbar.
Im Rahmen der Projekts MARVOW wurde deutlich, dass eine verstärkte Koordinierung der Zusammenarbeit der verschiedenen beteiligten Institutionen erforderlich ist. Darüber hinaus wurde ein dringender Bedarf an einem umfassenderen Fallmanagement sowie an einer verbesserten und systematischeren Risikobewertung festgestellt [17]. Diese Erkenntnisse bildeten die Grundlage für das Nachfolgeprojekt "MARVOW 2.0– Coordinated Multi-Agency Response to Violence Against Older Women" (2023–2026), das vom AÖF koordiniert wird. Projektpartner sind die Union of Women Associations of Heraklion (UWAH) in Griechenland, Conexus in Spanien, Association NAIA in Bulgarien, Anci Associazione Regionale Comuni Italiani Lazio in Italien, SC Psytel in Frankreich, das Mediterranean Institute of Gender Studies (MIGS) in Zypern, AGE Platform Europe, das European Network for the Work with Perpetrators of Domestic Violence (WWP EN) sowie Women Against Violence Europe (WAVE). Dabei spielt auch wieder der europäische Ansatz eine wichtige Rolle, da Gewalt gegen ältere Frauen eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung in sämtlichen europäischen Ländern darstellt. In einer ersten Projektphase wurden daher bestehende Lücken in den 7 Partnerländern transnational und mittels Onlineumfangrage europaweit untersucht, Erfahrungen gebündelt und Best-Practice-Modelle gesammelt mit dem Ziel, bestehende Lücken im Opferschutzsystem zu identifizieren und durch nachhaltige, koordinierte und multidisziplinäre Zusammenarbeit wirksame Strukturen aufzubauen. Europäische Projekte sehen sich dabei stets mit der besonderen Herausforderung konfrontiert, gemeinsame Ansätze zu erarbeiten, die einerseits europaweit gültige Standards schaffen, andererseits aber auch so gestaltet sind, dass sie an die jeweiligen nationalen rechtlichen Rahmenbedingungen und lokalen Gegebenheiten angepasst werden können. Unter dieser Prämisse hat sich als zentrales Ergebnis von MARVOW 2.0 schließlich die Entwicklung zweier praxisnaher Instrumente ergeben: eine Checkliste zu Risikofaktoren speziell für gewaltbetroffene ältere Frauen als Ergänzung zu bereits etablierten Risikoeinschätzungsinstrumenten sowie ein Fallmanagementtool zur Etablierung koordinierten multiinstitutionellen Zusammenarbeit. Ergänzt werden diese Ergebnisse durch die Erprobung regionaler Steuerungsgruppen, die den Austausch zwischen unterschiedlichen Institutionen erleichtern, die Zusammenarbeit dauerhaft verankern und damit zu einem strukturellen Wandel beitragen sollen.
Die MARVOW 2.0 Risikofaktoren Checkliste ermöglicht eine präzisere Erfassung von Fällen von Gewalt gegen ältere Frauen. Sie ergänzt bestehende standardisierte Instrumente zur Risikoeinschätzung, da diese spezifische Risiken für ältere Frauen häufig nicht berücksichtigen oder nicht geschlechtsspezifisch sind. Zu den derzeit europaweit verwendeten Instrumenten gehören etwa EASI (Elder Abuse Suspicion Index) und REAMI (Risk on Elder Abuse and Mistreatment Instrument), die altersbezogen sind, jedoch nicht geschlechtsspezifisch arbeiten, sowie das noch unveröffentlichte HOPE (Harm to Older Persons Evaluation), das aktuell regional in Großbritannien erprobt wird. Darüber hinaus existieren allgemeine Instrumente zur häuslichen Gewalt, wie das Danger Assessment (DA), DyRiAS Intimate Partners, der Campbell Bogen oder das ODARA (Ontario Domestic Assault Risk Assessment), die auch in Österreich Anwendung finden, die jedoch nicht altersspezifisch ausgerichtet sind. Für Wien ist das neue Gefährlichkeitseinschätzungstool der Exekutive Wien, "PROTƎEKT - Polizeiliche Risikobewertung zum objektiven, täterorientierten Erkennen von erneuten körperlichen Tätigkeiten", das seit 2023 in Wien in polizeilicher Verwendung ist, erwähnenswert. Das Tool ist auf Wien zugeschnitten und kann noch nicht auf andere Regionen übertragen werden.
Die MARVOW 2.0 Risikofaktoren-Checkliste adressiert nun genau die Lücke der geschlechts- und altersspezifischen Risikoeinschätzung, indem sie die bestehenden Verfahren ergänzt und auf Risiken eingeht, die in Fällen von Gewalt bei älteren Frauen besonders relevant sind.
Wird ein Fall von Gewalt gegen eine ältere Frau identifiziert, sollen in enger Abstimmung der beteiligten Institutionen geeignete Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen eingeleitet werden. Dazu dient das MARVOW 2.0 Fallmanagement-Tool für Fälle von Gewalt gegen ältere Frauen, das eine wirksame und koordinierte Intervention durch strukturierte multiinstitutionelle Zusammenarbeit und klare Abläufe anleitet. Das Instrument unterstützt dabei, verbindliche Verfahren und Handlungsschritte festzulegen, die Fachkräfte auf der Grundlage einheitlicher Prinzipien verfolgen können. Das MARVOW 2.0 Fallmanagement-Tool ist dabei nicht auf Hochrisikofälle beschränkt, sondern soll idealerweise Eingang in die tägliche Praxis bei allen Fällen von Gewalt gegen ältere Frauen finden und die enge Kooperation zwischen den beteiligten Institutionen leiten, und damit zu einem strukturellen Wandel beitragen. Die Entwicklung basierte auf dem zuvor erwähnten MARVOW-Tool aus dem ersten MARVOW-Projekt, das auf den Konzepten der Multi-Agency Risk Assessment Conferences (MARAC) und der Coordinated Community Response (CCR) gründet und einer strukturierten sowie abgestimmten Reaktion auf Gewalt dient. Die multiinstitutionelle Koordination erfolgt also auf zwei Ebenen: Einerseits betrifft dies die Organisation der Einzelfallmanagementsitzungen selbst, andererseits die übergeordnete Koordinierung des gesamten Prozesses. Dieser erstreckt sich von der Arbeit mit der betroffenen Frau und dem Täter bis hin zur institutionenübergreifenden Zusammenarbeit und Weiterverweisung. Weiters koordinierte Steuerungsgruppen, um bei im Einzelfall identifizierten Lücken im System nachhaltig einzugreifen und strukturell einen besseren Schutz für alle Frauen zu erreichen. Um die Effektivität der Maßnahmen zu gewährleisten, bedarf es einer Etablierung dieser Koordinierung auf regionaler Ebene sowie einer Anpassung an die rechtlichen Rahmenbedingungen und spezifischen Bedürfnisse und Kontexte. In Österreich wurden diese Fragen im Frühsommer 2025 beispielsweise bereits in ersten regionalen, multiinstitutionellen Austauschtreffen in Tirol und Niederösterreich diskutiert. Dabei stießen sie bei den beteiligten Fachkräften auf großes Interesse. Damit die im Rahmen von MARVOW 2.0 entwickelten Ergebnisse nachhaltig wirken können, müssen sie nun gemeinsam mit politischen Entscheidungsträger:innen aufgegriffen und durch entsprechende Ressourcen kontinuierlich weitergeführt werden.
Sowohl die MARVOW 2.0 Risikofaktoren-Checkliste als auch das Fallmanagement-Tool für Fälle von Gewalt gegen ältere Frauen werden ab Oktober 2025 auf unseren Webseiten von MARVOW und AÖF öffentlich verfügbar sein [18]. Am 9. Dezember 2025 werden die Projektergebnisse im Rahmen der Fachtagung "Bis dass der Tod uns scheidet - Gewalt in älteren Paarbeziehungen" des Vereins Frauenhäuser Steiermark in Kooperation mit AÖF und MARVOW 2.0 in Graz erstmals in Österreich präsentiert. Im Januar 2026 erfolgt die Publikation des MARVOW 2.0 Manual of Operation, ein Handbuch, das einen detaillierten Überblick über koordinierte multidisziplinäre Zusammenarbeit in Fällen von Gewalt an älteren Frauen bietet. Im Rahmen der MARVOW 2.0 Abschlusskonferenz, die am 3. Februar 2026 in Brüssel stattfindet, werden die Ergebnisse und Empfehlungen des Projekts MARVOW 2.0 einem europäischen Fachpublikum präsentiert.
Bei der MARVOW 2.0 Abschlusskonferenz werden insbesondere die im Projekt erarbeiteten Empfehlungen für den politischen Rahmen für die EU sowie für die jeweiligen Partnerländer vorgestellt. Für Österreich sind folgende Empfehlungen formuliert: Das Modell der koordinierten multiinstitutionellen Zusammenarbeit in Fällen von Gewalt gegen ältere Frauen soll systematisch implementiert werden, alle relevanten Interessengruppen einbeziehen und eine kontinuierliche Verbesserung der Richtlinien und Verfahren innerhalb der beteiligten Institutionen gewährleisten. Zu diesem Zweck sollen regelmäßige, systemweite Steuerungsgruppen nach dem Vorbild des MARVOW-2.0-Ansatzes eingerichtet werden. In diesen Sitzungen können die teilnehmenden Institutionen ihre Zusammenarbeit überprüfen, systemische Herausforderungen diskutieren und Verbesserungen auf politischer und prozeduraler Ebene identifizieren. Ebenso sollen sichere und vertrauliche Kommunikationskanäle geschaffen werden, um den Austausch von Instrumenten und Informationen zu erleichtern, die das Verständnis für die spezifischen Formen von Gewalt gegen ältere Frauen fördern. Im Zweifelsfall muss dabei der Schutz der Opfer Vorrang vor Datenschutzbedenken haben. Ergänzend wird die Einführung eines regional angepassten, alterssensiblen Rahmens empfohlen, der systemische und kulturelle Barrieren berücksichtigt. Darüber hinaus sollen altersspezifische Protokolle in polizeiliche und gerichtliche Verfahren integriert, eine nationale Sensibilisierungskampagne mit Schwerpunkt auf Gewalt gegen ältere Frauen umgesetzt, und nicht zuletzt finanzielle Mittel für altersgerechte Unterstützungsdienste gesichert werden.
Über alle Termine und Veröffentlichungen informieren wir zeitgerecht über die Kanäle von AÖF und MARVOW 2.0. Wir freuen uns auf den weiteren Dialog und die Zusammenarbeit mit allen relevanten Akteurinnen und Aktueren, um die erarbeiteten Empfehlungen in politische Maßnahmen und in die Praxis zu überführen. Institutionen, Organisationen, Fachpersonal und Entscheidungsträger:innen möchten wir herzlich einladen, mit uns in Kontakt zu treten und gemeinsam an einer nachhaltigen Verbesserung des Schutzes älterer Frauen vor Gewalt zu arbeiten.
Quellen/Literatur:
- [1] Yon Y, Mikton CR, Gassoumis, ZD, Wilber, KH (2017). Elder abuse prevalence in community settings: a systematic review and meta-analysis. Lancet Glob Health. 2017;5(2):e147-e156)
- [2] und [3] World Health Organization (2022). Abuse of older people.
- [4] The World Bank (2016). Violence Against Women and Girls Resource Guide, Brief on Violence against older Women. Zitiert nach MARVOW 2.0 Risk Assessment Methodology D2.2 (2024).
- [5] EUROSTAT (2020). Ageing Europe — looking at the lives of older people in the EU.
- [6] EUROSTAT, FRA, EIGE (2024): EU gender-based violence survey4
- [7] FRA (2015): Violence against women. An EU-wide survey. Main results.
- [8] Luoma, M.-L. et al. (2011). Prevalence Study of Abuse and Violence against Older Women. Results of a Multi-cultural Survey in Austria, Belgium, Finland, Lithuania, and Portugal (European Report of the AVOW Project). Finland: National Institute for Health and Welfare (THL). Zitiert nach MARVOW 2.0 D2.2 Risk Assessment Methodology (2024).
- [9] Lang, G. (2014). Über Gewalt und Misshandlung von älteren Frauen im sozialen Nahraum, ihre Verbreitung und Muster. SWS-Rundschau, 54(1), 32-50.
- [10] AÖF Tätigkeitsbericht Frauenhelpline 2024
- [11] Tätigkeitsbericht Gewaltschutzzentrum Wien 2024.
- [12] AÖF Frauenhausstatistik 2024
- [13] Femizide in Österreich (Stand: 15.09.2025).
- [14] MARVOW 2.0 Transnational Report, Jänner 2024
- [15] Training manual on supporting older women survivors of violence – WHOSEFVA + MARVOW projects (2022).
- [16] MARVOW Training materials on multi-agnecy models (2021).
- [17] MARVOW Replication Guidelines (2022).
- [18] Lepuschitz, N., Obermaier, C. (2024). Aktuarische Risikoeinschätzung bei häuslicher Gewalt. Polizeiliche Risikobewertung – objektive und täterorientierte Einschätzung erwartbarer körperlicher Tätlichkeiten, SIAK-Journal − Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (2), 32-46
MARKOV 2.0 Projektinformationen
- MARVOW 2.0 auf den Seiten des AÖF
- MARVOW 2.0 (englische Projektwebsite)
- AÖF Factsheet Gewalt gegen ältere Frauen in Österreich (PDF)
Kontakt:
- Alicja Świtoń, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser,
E-Mail: alicja.switon@aoef.at - Martina Knoll, Project and Grant Officer, Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser,
E-Mail: martina.knoll@aoef.at